Trend zur Nachhilfe
Förderung bereits in der Grundschule
Nachhilfe wird immer populärer. Bereits Grundschüler nehmen Zusatzunterricht; nicht nur, wenn sie nicht mitkommen oder die Versetzung in Gefahr ist sondern auch zur Verbesserung ihres Notendurchschnitts. Man trimmt sie auf den Wechsel zum Gymnasium, denn Real-, Haupt- oder gar Förderschüler haben längst nicht mehr so gute Aussichten in der Arbeitswelt wie früher. Es gilt, bloß nicht zu verlieren im Kampf um gute Noten, Ausbildung, festen Arbeitsplatz, Karriere.
Nachhilfeunterricht - Verstärkte Nachfrage
War Nachhilfe früher eher ein Tabu für die "Schlechten", so gilt es nun als praktische Dienstleistung. Etwa siebzig Prozent der Nachhilfeschüler verbessern ihre Leistung, und zwar nicht nur im betreffenden Fach. Bundesweit investieren Eltern etwa eine Milliarde Euro in Förderunterricht. Manche gehen gar Zusatzarbeiten nach, um die Weiterbildung ihrer Sprösslinge zu finanzieren.
Zwei Drittel des Unterrichts läuft privat ab, von Schülern, Studenten, Bekannten … Meist ohne Qualifikation und ohne Steuern. Darüber hinaus gibt´s viertausend offizielle Nachhilfeschulen. Viele Betreiber zahlen Lizenzgebühren für den Markennamen einer bekannten Einrichtung und stellen die Lehrer dann selbst ein. Sogar manche "Psychovereine" wie Scientology haben anscheinend Nachhilfevereine unter anderen Namen gegründet. Unterrichtende finden sich trotz des teilweise mageren Gehaltes, so z.B. nicht in den Schuldienst übernommene Lehrer.
Ursachen für den Lerntrend scheinen Pisa und G8. Das neue, achtjährige Gymnasium stellt Fünftklässler vor die Herausforderung zweier Fremdsprachen und eines vollen Stundenplans, der bislang Älteren (etwa ab der achten Klasse) vorbehalten war. Wem nur mit Ach und Krach den Sprung ans Gymnasium gelang, sieht sich hier oft überfordert. Da hilft auch Nachhilfe nichts, denn zwanghaftes, ständiges Büffeln macht Lernen zur Qual. Man hört von Kindern, die sich morgens erbrechen, von Schulphobie und vielem mehr.
Zwar eignet sich Nachhilfe zur Schließung von Wissenslücken, die z.B. durch Krankheit, Umzug oder Null-Bock-Phasen entstanden. Hier mag sie angebracht sein und Freude bereiten, indem ein begrenztes Stoffgebiet aufgearbeitet wird. Doch jahrelange regelmäßige Zusatzbüffelei in fast allen Fächern dagegen vergällt Bildung nur. Leider bedienen sich Eltern oft dieses Mittels, um Kindern ihre Lebensvorstellung aufzudrängen, ohne zu bedenken, dass das am Gymnasium geplagte Kind an der Realschule vielleicht spielend leicht Spitzenleistungen erbrächte. Manchmal genügt bereits eine Ehrenrunde.
Weiterer Haken an der Sache: So nützlich außerschulische Förderung auch sein mag, so bringt sie doch nur den ohnehin schon Bevorzugten Vorteile. Schüler von Gesamt- oder Hauptschulen entscheiden sich wesentlich seltener für Zusatzunterricht. Ihre Eltern können sie zwar nicht beim Lernen unterstützen, ihnen aber auch keine Nachhilfe bezahlen. Letztlich gelingt diesen Schülern der Abschluss nur mit mittelmäßigen Noten - ein dicker Nachteil auf dem Ausbildungsmarkt.
Ist es nicht paradox, dass Schüler nach der Schule zu kostenpflichtigen Einrichtungen pilgern, um das zu lernen, was ihnen in der Schule abging? In unserem Staat, der für kostenlose Bildung für jedermann plädiert, scheint einiges schief zu laufen.