Die Verhackstückung des Nahen Ostens
Alles rächt sich - Spätfolgen der Kolonisierung
Teil Eins. Zum zweiten Teil und hier zum dritten
Was die letzten sechzig Jahre in der Politik läuft, grade auch Europa, die Vereinigten Staaten und den Nahen Osten betreffend, bleibt unverständlich, wenn man nicht auch das Geschehen im Nahen Osten zu Anfang des 20. Jahrhunderts einordnen kann.
Großwetterlage um 1900
Bestimmend im Nahen Osten war das Osmanische Reich, das immer mehr zerbröselte, aber zuvor eine starke Expansionspolitik betrieben hatte. Was Nordafrika betraf, so hatte es das Erbe der Araber angetreten, die wiederum das der Römer. Die Araber beherrschten Nordafrika allerdings nur. In Wirklichkeit handelt es sich aber um keine keine "arabische" Region, wie viele meinen, sondern um eine von Berbern mit einer von der Arabischen Halbinsel stammenden Herrscherschicht obenauf, die - wie immer in solchen Fällen - tonangebend war: In der Kultur, beim Militär, in den Wissenschaften, der Verwaltung usw. Verbindender Kitt war der auferzwungene Islam, der einmal von den Beherrschten verinnerlicht, die Besatzungskosten senkte, ähnlich wie der Katholizismus in Lateinamerika. Wer Seelendoktores beschäftigt, die sich z.B. über den Zehnten finanzieren, spart an Militär und Polizei, denn die Unterdrückten gehorchen von selbst zur Erlangung ihres Seelenheils. Und wie oft in der Geschichte trat bei den Beherrschten ein Phänomen auf, das als Identifikation mit dem Aggressor, vielen eher gewärtig als "Stockholm-Syndrom", bekannt ist: Die Berber (Barbaren) wollten als Araber gelten, was wohl als etwas Edleres gilt. Rif-Kabylen, Turaeg, der ganze Maghreb - es sind alles Berberstämme, keine Araber.
Im Jahr 1453 hatten die Osmanen die Verteidiger von Konstantinopel (Byzanz, heute Istanbul) überlistet, indem sie ihre Kriegsboote über einen Bergkamm hinter der venezischen Festung Pera auf dem Goldenen Horn gezogen hatten, etwa beim heutigen Taksim-Platz, und die Stadt in einem fürchterlichen Blutbad einnehmen konnten, eindrucksvoll beschrieben von Stefan Zweig in den Sternstunden der Menschheit. Das war das wirkliche Ende des Römischen Reiches, das in seinem Ostteil bis dahin weiterbestanden hatte. Die Eroberung mit den einhergehenden Greueltaten schockierte ganz Europa. Heute werden sie aus fadenscheinigen Gründen teils als christliche Propaganda kleingeredet. Hier kann man sich schlau machen, z.B. über die Akindschi und die gefürchteten Janitscharen, Sturm- und Elitetruppe, meist geklaute Christenkinder. Gegründet wurde die Truppe 1330. Ab 1438 wurde sie systematisch durch die sogenannte Knabenlese auf dem Balkan rekrutiert. Je nach Bedarf wurden von den christlichen Völkern bis zu einem Fünftel der Jungen im Alter von 7-14 Jahren ausgewählt. Diese waren dem Zölibat unterworfen und dem Sultan zu absolutem Gehorsam verpflichtet. Unter strenger Disziplin wurden sie zu muslimischen Soldaten ausgebildet.
Auch hier wieder die erwähnte Identifikation mit dem Aggressor, denn logischerweise hätten letztere sich gegen die Mörder ihrer Eltern erheben müssen.
Mangel an "Dicken Berthas"
Die türkischen Ausdehnungsversuche setzten sich fort. Europa geriet ins Visir. Zweimal hatten die Türken vor Wien, gestanden, dem "Goldenen Apfel", und Tor nach Europa, 1529 unter Sultan Süleyman, z.Zt. des Habsburgers Karl V., und 1683 (die berühmte Schlacht am Kahlenberg mit den poln. Flügelreitern). Die erste Belagerung scheiterte an den unwegsamen, matschigen Straßen, welche die Mitführung größerer Kanonen nicht zuließen. Das sogenannte "Konstantinopel-Geschütz" von 1453 des Kanonengießers Urban, eventuell einem Deutschen, auf jeden Fall ein Christ, maß bereits über acht Meter bei einem Durchmesser von 75 cm, verschoss Kugeln von ca. 550–600 kg und musste von 60 Ochsen und 200 Männern bewegt werden.
Botoxfreie, schrumpelige Gesichtshaut
Der osmanische Heerführer bei der zweiten Belagerung war Großwesir Kara Mustafa Pascha, der zur Strafe für die Niederlage per Seidenschnur erdrosselt wurde. Sein Schädel wurde gehäutet, die ausgestopfte Kopf- und Gesichtshaut dem Sultan als Nachweis nach Edirne (Hadrianopolis, Adrianopel) gesandt; der Schädel selbst war bis 1975 in Wien ausgestellt und 2006 beerdigt worden.
Wiener Melange aus Kamelfutter
Beim Abzug hinterließen die Osmanen Säcke eines komischen Kamelfutters, wie die Wiener zunächst glaubten: Kaffeebohnen; der Anfang der Wiener Kaffeehäuser. Beide Belagerungen waren eigentlich zu spät im Jahr in Angriff genommen wurden. Die Osmanen kämpften gegen Schlamm, Regen und Kälte und schließlich gegen den Hunger. Da sie bzw. ihre Akindschi schlauerweise alles um Wien herum verwüstet, ausgeplündert, gebranntschatzt, plattgemacht und ermordet hatten, gab´s weder Schutz noch Nahrungsmittel.
Teil Eins. Zum zweiten Teil und hier zum dritten
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Bilder:
Hist. Darstellung d. Eroberung Konstantinopels, Fausto-Zonaro
Türk. Belagerungsgeschütz v. 5,18 m Länge, Museum Fort Nelson, Royal Armouries, Hampshire, für Kugeln von 63 cm Durchmesser und 340 kg Gewicht. Die Rohre waren zur leichteren Beförderug getrennt; zusammengeschraubt waren sie sogar gasdicht.