Als Gastschülerin in Norditalien

Schulbesuch in Italien

Erfahrungsbericht von einem Austauschjahr

Seit ich das erste Mal von der Möglichkeit hörte, war mir klar, dass ich die 11. Klasse im Ausland verbringen wollte ...eine neue Kultur und Sprache kennen lernen und mich mir selbst stellen, durch die lange Zeit fern von meiner Familie und meinen Freunden. Für Italien habe ich mich dann relativ spontan entschieden, als die Entscheidung anstand. Ich hatte mich bei zwei kurzen Reisen nach Rom und in die Toskana unsterblich in dieses Land verliebt, in diese himmlische Sprache, die wunderschönen Orte und die offenen und herzlichen Menschen, die mir begegnet waren. Natürlich macht man sich vor der Abreise viele Bilder vom Gastland und natürlich spielen da auch Klischees mit hinein. Da denkt man sich die klassische Großfamilie aus der Spaghettiwerbung, die lachend und temperamentvoll streitend große Nudelberge verzehrt. Man denkt an das Meer, an Urlaub, Eis und pfeifende „Ciao bella“ rufende Sizilianer, unsterbliche Liebe ...
Selbst, wenn nur ein kleiner Teil davon stimmen sollte, wollte ich gern ein Teil davon sein. Ich wollte in Italien mehr als ein Tourist sein und vielleicht sogar mit etwas mehr Temperament nach Deutschland zurückkommen. 

Wie vorgehen?

Zunächst einmal habe ich meine Eltern von meinen Plänen überzeugt, schließlich müssen die das Ganze finanziell und auch sonst mittragen. Dann haben wir uns auf die Suche gemacht: Wer bietet überhaupt ein Italienjahr an? Wie hoch sind die Kosten? Welche Bedingungen muss man erfüllen, um teilnehmen zu können? Das war Anfang der zehnten Klasse. Sobald es ging, habe ich mich angemeldet; schließlich wollte ich sicher sein, dass sich dieser Traum wirklich erfüllt. Es wurde mir zugesichert, dass man mir bald eine Gastfamilie zuteilen und mich darüber informieren würde. Ich sollte eine Mappe mit Fotos und Informationen zu mir zusammenstellen, wonach dann eine passende Familie ausgewählt werden sollte. Die Mappe war lange vor der Frist fertig,m und von da an lief ich jeden Tag erwartungsvoll zum Briefkasten ... - doch die Nachricht kam nicht; ich habe erst wenige Wochen vor meinem Abflug eine Gastfamilie bekommen. Die Entwicklungen vor dem Abflug sind auch schon ein wichtiger Teil des Auslandsjahres, jedenfalls war das für mich so. Wie eine Art Bestandsaufnahme: Was nehme ich mit? Was werde ich vermissen? Wo melde ich mich ab? Wie verabschiede ich mich von den Leuten? 

Im Grunde nimmt alles seinen Lauf. Irgendwann kam dann doch der Brief mit den Daten meiner Gastfamilie, ich fand die kleine Stadt in meinem Atlas. Weil ich so aufgeregt war und die Austauschorganisation dazu geraten hatte, habe ich aus meinem Volkshochschulkurs-Anfänger-Italienisch ein paar Wörter und Halbsätze zusammengekramt und meine Gastfamilie angerufen ... Natürlich hoffte ich, daß sie Englisch sprechen würden, aber keine Chance. „Ähhh, ciao, sono Laura ...“ - Das “Gespräch” endete in einem Desaster, wir verstanden einander einfach nicht …Aber immerhin hatten sie nett geklungen…

Sprung ins kalte Wasser

Der Flug und die Ankunft sind einfach ein Sprung ins kalte Wasser: Ängste, Hoffnungen, Spannung, alles vermischt sich. Und wenn man seine Gastfamilie zum ersten Mal trifft, ist man einfach allein. Aber die Familie hat sich bei mir sehr bemüht: Ein Willkommensschildchen aufgestellt, schön gekocht und alles. Das nimmt einem die Angst.

Mit der Sprache ist es nur am Anfang schwierig. Ich war froh über meine, wenn auch mageren, Vorkenntnisse. Wenn man „sein und haben“ „ich und du“ sagen kann, ist das immerhin ein Anfang. Und die Italiener sind Meister der nonverbalen Kommunikation, selbst die kompliziertesten Zusammenhänge können sie mit Händen und Füßen darstellen. Die ersten Wochen konnte ich kaum sprechen, verstand immer mehr, spätestens nach zwei Monaten konnte ich reden. Danach lernt man in erster Linie Worte und vertieft sich immer mehr in die Sprache (ich erinnere mich lebhaft, wie ich mich in einem Telefongespräch mit meinen Eltern in Deutschland kaum noch verständlich ausdrücken konnte, mein Kopf war voller Italienisch). Gegen Ende kam es immer häufiger vor, dass man mir nicht glaubte, dass ich keine Italienerin war; das sind die Höhepunkte eines solchen Jahres!

Bei einem ganzen Jahr kommt es natürlich vor, dass man Heimweh bekommt. Meist schließt es sich verstärkend an, wenn man im Gastland Sorgen hat. Oder es kommt an Geburtstagen oder beim Telefonieren. Das schlimmste Heimweh hatte ich zu Weihnachten; es war kaum auszuhalten. Es gibt dagegen kein Patentrezept; bei einigen hilft Ablenkung, bei anderen Telefonieren, bei mir ein bisschen Alleinsein und sich dem stellen. Jedenfalls ist Heimweh etwas völlig Normales, klar vermisst man die Leute, die einem wichtig sind, wenn man sie so lange nicht sieht!

Heimweh...

Es ist wahr, dass in Italien viel Pasta gegessen wird. Daß mit den Großfamilien stimmt nur halb: Der Kontakt zu den Verwandten ist schon enger als in Deutschland, das bedeutet aber nicht, dass man zusammen wohnt. Und vom Temperament her ist man, jedenfalls in Norditalien, nicht sehr anders als bei uns. Im Grunde sind die beiden Kulturen ähnlicher, als man erwartet. Die größten Unterschiede habe ich im beim Erwachsenwerden festgestellt: Man ist dort ein Ausnahmefall, wenn man mit 30 nicht mehr zuhause wohnt ... In der Schule gibt es fast nur Frontalunterricht, Unterrichtsgespräch und Meinungsaustausch sind Fremdworte. Es wird gepaukt und basta. Das bedeutet aber nicht, dass es langweilig sein muß, schließlich lernt man als Gastschüler vor allem in der Schule Leute kennen und meistens genießt man auch mehr Freiheiten in der Schule.

...und zurück

Ein Jahr ist eine lange Zeit. Obwohl es recht schnell vorbei geht. Wenn Leute mich im Vorbeigehen fragen „Und, wie war’s in Italien?“, ist es schwer zu antworten. In einem Jahr gibt es Hochs und Tiefs, Verzweiflung und Euphorie. Man erlebt mehr, als man erzählen kann, man baut sich dort ein ganz neues eigenes Leben auf. Irgendwann muss man dann zurück. Wieder werden Koffer gepackt, ein tränenreicher Abschied.
Zurückzukommen ist schwer. Zuerst ist man fremd, Dinge haben sich geändert, man hat das Gefühl, zerrissen zu sein zwischen zwei Welten. Ganz langsam kommt man dann wieder an. Und mit der Zeit lernt man, eine Balance zu finden zwischen den Erfahrungen im Ausland und dem „normalen“ Leben in der Heimat.
Auch in der Schule war es für mich nicht so schwer wieder einzusteigen. Die Liebe zu Italien ist bei mir geblieben. Ich telefoniere viel mit den Leuten dort, um die Sprache nicht zu verlernen und besuche meine Gastfamilie so oft ich kann. Jetzt träume ich davon, nach dem Abitur zum Studium nach Italien zurückzukehren und vielleicht sogar irgendwann mal dort zu leben...

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