Als Freiwilliger nach Israel

Krankenhaus in Jerusalem

Freiwilligenprojekt in Israel

Erinnerung an den Holocaust

Die Vorbereitung hatte schon mit dem Auswahlseminar begonnen. Informationsblätter, Vorträge, Dias und Fragestellungen zu den persönlichen Erwartungen des Einzelnen, die zur gedanklichen Auseinandersetzung anregten, waren der erste Teil einer Vorbereitung auf den halbjährigen Aufenthalt in Israel. Weitere Seminare in der kleineren Gruppe der „Ausgewählten“, in denen organisatorische Fragen geklärt werden konnten, wurden durch Referate der angehenden Volontäre über religiöse, politische und geschichtliche Aspekte des Lebens in Israel komplettiert. Die Vorbereitung in Deutschland würde ich persönlich als sehr gut bewerten.

Einmal in Jerusalem angekommen, wurde die Gruppe nach Begrüßung und kurzer theoretischer Einführung in die Arbeit des Krankenhauses weiter mit dem Land Israel und mit besonderen Gesichtspunkten der Altenpflege, dem Umgang mit Alzheimer-Patienten und anderen Einzelheiten, die beachtet werden wollen, vertraut gemacht. Diese Tage waren in höchstem Maße informativ, fast sogar zu informativ, da viele Details vorweggenommen wurden, die eher einer Besprechung nach ein bis zwei Monaten bedurft hätten, nachdem man schon einige persönliche Erfahrung hätte einfließen lassen können.

Nach dieser Vorbereitung konnte der praktische Bereich also beginnen. Ich wurde in das „psychogeriatric department a“ eingeteilt, das bedeutete in eine gerontopsychiatrische Station mit einigen Alzheimer- oder Parkinson-Patienten, mit Patienten, die an anderen Formen der Altersdemenz leiden.
Bei meiner Arbeit konnte ich ganz besondere – und wie ich denke – sehr wertvolle Erfahrungen machen. Zum einen ist die Arbeit mit Hilfebedürftigen etwas, bei dem man die grundlegenden alltäglichen Bedürfnisse eines Menschen auf andere Art und Weise kennen lernt und ein anderes Verhältnis dazu entwickelt. Das selbstverständliche An- und Ausziehen oder Essen, der eigenständige Gang zur Toilette sind Dinge, die der „gesunde“ Mensch ganz ohne Bewusstsein über die Fähigkeiten, die dahinterstecken, tagtäglich verrichtet. Doch was passiert, wenn man beispielsweise nicht alleine laufen kann oder schlicht und ergreifend vergisst, wie man diese scheinbar trivialen Tätigkeiten alleine verrichtet.

Ich habe an mir selbst bemerkt, dass ich dafür ein anderes Bewusstsein entwickelt habe und heute meine Gesundheit viel mehr schätze. Eine weitere Erfahrung ist die emotionale Beziehung, die man zu einem Patienten aufbauen kann, wenn man sich darauf einlässt und sich nicht blockiert. Denn es ist etwas unheimlich Schönes, einen Menschen, der aus gesundheitlichen Gründen stark eingeschränkt ist, zum Lachen zu bringen. Genauso schön ist es, Dankbarkeit für eine Hilfeleistung zu bekommen, eine Art von Hilfe, die viel Einfühlungsvermögen und Diskretion erfordert, da man unweigerlich in die Intimsphäre dieser Menschen eingreifen muss.

Einen besonderen Anreiz bei der Arbeit in diesem Krankenhaus in Jerusalem lieferte die Tatsache, dass man mit überlebenden Holocaust-Opfern zusammen ist und diese zu einem jungen deutschen Menschen aufgrund ihrer Erinnerungen ein belastetes Verhältnis haben. Die Reaktionen der Betroffenen auf mich als Deutsche waren unterschiedlich, aber allen gemeinsam war, dass meine Herkunft keine ganz unerhebliche Rolle gespielt hat.
Manche Patienten haben sich vor mir etwas verschlossen und ich konnte erst nach sehr langer Zeit beispielsweise herausfinden, dass sie deutsch sprechen konnten, dies aber nicht tun wollten, da sie damit furchtbare Erinnerungen verknüpfen. Manchmal konnte ich ängstliche oder nervöse Reaktionen beobachten, wenn sie mich nur deutsch sprechen hörten.

Das Schwierige dabei war für mich die Entscheidung zu fällen, ob ich sie in dieser Situation besser in Ruhe lasse und selbst vorsichtig Distanz halte oder ob ich das Gespräch mit ihnen suche, um mich für sie zu einer „positiven deutschen Erfahrung“ werden zu lassen. Für andere war es ein besonderer Anlass, mir viel aus ihrem Leben und vor allem ihren Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg zu erzählen. Diese Patienten machten einen deutlichen Unterschied zwischen ihren Erfahrungen mit dem Deutschland des Holocaust und dem heutigen, das ich in diesem Moment repräsentierte. Ich hatte dort die Funktion für ihr Wohlergehen zu sorgen und nichts anderes. Ich hatte oft das Gefühl, dass dies auch sehr positive Eindrücke bei den Betroffenen hinterlassen hat.

Ich bin sehr froh um diese Erfahrung, da ich damit heute eine neue Art von Kontakt mit dem Thema Holocaust habe. Bisher hatte sich dieser Kontakt auf die Lektüre von Büchern oder den Schulunterricht beschränkt, wovon man leicht verdrossen werden kann, da sich alles nur auf theoretischer Ebene abspielt. Heute habe ich einen persönlichen Bezug dazu und damit blicke ich mit realistischeren und ehrlicheren Augen auf das Schicksal dieser Menschen, über das so viel gesprochen wird.

Auch für das Krankenhaus hat meiner Meinung nach das Freiwilligenprojekt einige Vorteile. Zum Einen sind die Volontäre zusätzliche Hilfskräfte, die die Arbeitskräfte dort entlasten. Außerdem wird es nach langer Zeit in dieser kräftezehrenden und geduldfordernden Arbeit immer schwerer, immer wieder Offenheit für die Probleme und Bedürfnisse der Patienten aufzubringen. Fast unweigerlich „stumpft“ man mit der Zeit etwas ab, so dass ein Volontär, der sich auf begrenzte Zeit dieser Arbeit verspricht, durch die frische Einstellung und Motivation, neuen Schwung ins Team bringen kann.

Daneben findet ein für alle Beteiligten gewinnbringender kultureller Austausch statt. Meine Station war bunt gemischt, es arbeiteten dort Anhänger der drei Religionen Judentum, Christentum und Islam, es waren dort Menschen, die aus den verschiedensten west- und osteuropäischen Ländern (vor allem aus Russland) stammten, Juden, die aus dem fernen Osten oder Nordafrika (Irak, Marokko) nach Israel eingewandert waren, Amerikaner, Israelis und Palästinenser.
Interessant dabei war die Mischung von Nationen, die hier vereinigt waren, die verschiedenen Sprachen, die gesprochen wurden, ließen in manchen Momenten die Welt als eine große Einheit erscheinen, in der nationale Grenzen immer unerheblicher werden. Diese etwas romantische Vorstellung und das damit verbundene Gefühl der Zusammengehörigkeit sind es aber unter anderem, die die Zeit in Israel zu einem unvergesslichen und hoffentlich nicht einmaligen Erlebnis für mich gemacht haben.
Johanna

Zu weiteren Freiwilligendiensten im Ausland, aber auch in Deutschland, siehe auch in unserem Onlineshop.

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