Rote Erde und Mordsgeschichten
Rückeroberung des Landes
„Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingeborenen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Gehege zur Handelsjagd auf Schwarzhäute bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära.”
(Karl Marx, Das Kapital, Bd. I, Kap. 24, Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation)
Grundsätzlich verlief die Geschichte nicht anders in Australien. Unterschied: Es gab keine Plantagenwirtschaft, daher keine Notwendigkeit zur Sklavenhaltung. Überdies taugten die Aborigines nicht richtig zur Arbeit, genau wie die Indianer in Nordamerika, befanden die Weißen, denn Menschen, die alles Lebensnotwendige in ihrem angestammten Siedlungsgebiet vorfanden, konnten nicht nach dem westlichen Verständnis "arbeiten". Wozu auch? Das einzig Begehrenswerte war Alkohol. Aber wer trank, taugte schon lange nicht in der Produktion. Bezeichnenderweise verschleppten die Briten daher Asiaten als Sklaven nach Australien.
Also eignete man sich die Bodenschätze und Siedlungsgebiete dieser "überschüssigen" Bevölkerung durch Vertreibung an, beginnend mit den feuchteren, grünen, und dezimierte sie. Eingeschleppte Krankheiten taten ihr Übriges. Die Missionare waren für die Anpassung des Rests an die "weißen" Verhältnisse zuständig.
Die "Mordsgeschichten" sind Mordgeschichten, eine unglaubliche, ellenlange Liste. Noch in den 30er Jahre des 20. Jh. blieben Morde an den Aborigines ungesühnt. Es gab weder einen Plan noch eine zentrale Stelle, die verantwortlich gewesen wäre, aber der Völkermord funktionierte auch so. Man darf ein durchgehendes gesellschaftliches Einverständnis annehmen. Die Rote Erde ist an vielen Stellen auch blutdurchtränkt.
Noch in den Fünfziger Jahren testeten die Briten ihre Atombomben, http://www.down-under.org/content/atomtests, in der Nähe von Aborigines-Lagern bei Emu Junction, so dass viele starben.
In einer Dokuserie über Australien, die im deutschen Fernsehen lief, war beispielsweise von "Abojagden" um die Wende von 19. zum 20. Jh. die Rede. Sonntagmorgens veranstalteten die britischen Siedler auf ihre Pferden erstmal eine kleine Jagd. Vor oder nach dem Kirchgang? Nachmittags Kricket, Polo und Teatime.
Auf vielen Seiten im Reiseteil wird man auf die Mordgeschichten stoßen. Hier eine kleine Zusammenstellung: http://www.youtube.com/watch?v=Z7eubc-Yk3M, oder Youtube, "Australian Aboriginal Genocide".
Weitgehend vergessen ist, dass auch Australien Koloniebesitz hatte und mit den unterjochten Völkern nicht anders umging, als alle anderen Kolonialherren der Zeit auch.
Seit 1906 übte Australien die Herrschaft über den einstigen Kolonialbesitz von Großbritannien in Neuguinea aus. In Versailles 1918/19 wurde es ebenfalls vorstellig, um sich seine Scheibe vom zu Deutsch-Neuguinea gehörenden Teil der Insel zu holen.
Die Aborigines bewohnen den Erdteil seit etwa fünfzigtausend Jahren. Ihre Kunst hat die älteste, nicht unterbrochene Tradition auf der ganzen Welt. Das Didgeridoo, hergestellt aus von Termiten ausgehöhlten Ästen und Zweigen, ist vermutlich das älteste Musikinstrument überhaupt. Zwar gilt es als das Musikintrument der Eingeborenen schlechthin, aber tatsächlich kannten es nicht alle Stämme. Beheimatet ist es in Arnhem Land und dort bekannt als ‘yidaki’.
Über hunderttausend Stätten mit Felsmalereien zeugen von de Vergangenheit der Ureinwohner. Von einer Handvoll Bilder bis zu ganzen Galerien mit hunderten von individuellen und verschachtelten Motiven, die ganze Geschichten erzählen. Felszeichungen und -ritzungen, Bodenritzungen und Körperbemalung waren ursprüngliche Formen ihrer künstlerischen Ausdruckskraft. Die ältesten Zeichnungen, fünfundvierzigtausend Jahre alt, fand man in der Olary Region Südaustraliens.
Verfolgt, gejagt und hingemordet, zählen die australischen Ureinwohner heute nur noch rund 200.000 Menschen, verstreut im Busch und nahe der großen Städte. Auf dem Weg in die Integration, als nicht zu vereinnahmende Rebellen gegen die Welt der Weißen, als aktive Militante für ihre Rechte, sind sie ein Gespenst, das schlechte Gewissen des weißen Australiens. Es stimmt, dass nirgendwo zwei Kulturen weiter entfernt wären.
Seit dem Einfall der Weißen vor 200 Jahren entwickelten die Aborigines langwierige Widerstandsstrategien. Sie besetzten ihre heiligen Orte und Plätze, vertieften sich in die Juristerei ... und haben Erfolg. Schritt für Schritt erhalten sie angestammte Gebiete zurück. Vereinigt in "Gebietsräten" verlassen die geistigen Wächter des Traumes von der Roten Erde ihre Reservate und finden sich zusammen, einige davon als neue Nomaden.