Hartmannsweilerkopf

Deutsch-französische Schülerbegegnung

Geschichte, hehre Worte und ein paar Zwiespältigkeiten

Teil I. Hier geht´s zu Teil II., Kampflied, und hier zu Teil III, Beim Menschenfresser

Zum Gedenken an die Kämpfe am Hartmannsweilerkopf wird ein Treffen von deutschen Abiturienten zweier Freiburger Gymnasien und Schülern aus Altkirch im Sundgau (Elsass) vor Ort organisiert. Vertiefte Einblicke in die Geschichte stehen auf dem Programm. Eingeladen hat die "Union der Reserveoffiziere" aus dem elsässischen Mühlhausen (Mulhouse) zum Gedenken an den Krieg und zum Zweck einer deutsch-französischen Verständigung.
Tatsächlich handelt es sich nicht nur um Geschichte, sondern auch um ein paar Irritationen und einem seltsamen, national-religiösem Gebaren, das den einen vertraut ist, den anderen seltsam anmutet.
Los geht es bei Meyenheim auf dem Gelände der Kaserne des "Régiment de marche du Tchad". Die Freiburger Bad. Zeitung begleitet den Besuch und berichtet unter der "Überschrift: Exkursion zum Berg des Todes", dass sich manche deutsche Schüler beim Besuch bei den Berufssoldaten wie im falschen Film fühlten, während bei einigen der französischen nicht zuletzt angesichts des tollen zur Schau gestellten technischen Geräts, darunter Waffen, Sichtgeräte, ein Schützenpanzer usw., Faszination aufgekeimt sei. Angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich vielleicht verständlich. Ja, warum keine Militärkarriere, kann man doch auf "großen Flächen Frieden schaffen", s. Folgeseite. Auf jeden Fall: Mitgefangen, mitgehangen - das Regiment will sich selbst darstellen; dem können sich auch die deutschen Schüler nicht entziehen.

Kampf fürs Kapital oder den Frieden?

Erst nachmittags soll es auf den Gipfel des "Menschenfressers" gehen. Die Zeit wird u.a. gefüllt mit einem Imagefilm über das Regiment, das mit seinen tausend Infanteriesoldaten auf Auslandseinsätze getrimmt ist und Frankreichs postkoloniale Interessen wahrt. Ob es auch bei der Verhinderung der Loslösung dreier Departements  dabei war, laut dem Wendehals Mitterand Teil des "Vaterlandes", ist unbekannt. Beheimatet ist es eigentlich in Afrika, aber seit den Terroranschlägen wurde es im Elsass stationiert. Vorher war es z.B. in Mali 2013 und 2014 eingesetzt gewesen, dessen Nordostecke an den Niger grenzt. Dort beutet die französische Atom- und Pleitefirma Areva bei Arlit die Uranvorkommen aus, die zu den ergiebigsten der Welt zählen. Rund 30 % des in den französischen AKWs verheizten Urans stammen von dort.
Aber das erzählen die Soldaten natürlich nicht, sondern verweisen voller Stolz darauf, auf "Friedensmissionen" im Ausland eingesetzt zu werden und unter Gefahr fürs eigene Leben im Auftrag des Vaterlandes zu kämpfen. Das glauben die wahrscheinlich auch. Das sind neue Töne für die (deutschen) Schüler, schüchtere sie ein, meint die Zeitung, da sie dem Militär eher ablehnend gegenüberstünden, während die französischen weniger Berührungsängste zeigten. Kein Wunder, hat Frankreich doch seine letzten - offiziellen - Kriege, die auch so benannt wurden, "gewonnen", während die anderen z.B. als "Ereignisse" (les évenements d´Algérie) bezeichnet wurden.
Die Soldaten führen den Schülern vor, wie sie am PC geschult werden, "virtuelle Geländespiele" sozusagen, oder wie sie sich auf ihrem Kasernengelände in den Straßen einer Übungsstadt im Häuserkampf üben. Ein Offizier erklärt, es gehe darum, die Oberhand zu wahren und, wo immer nötig, Stärke zu zeigen. Das "Nötige" wird dann wohl die Politik bestimmen bzw. die Unternehmen, denen sie gehört.

Geschichten aus der Geschichte Tirailleur Sénégalais

Zur Geschichte des "Régiment de marche du Tchad", ein doch ziemlich auffallender Name, erfährt man auch nur wenig. Hervorgangen war es nämlich 1943 aus Soldaten der berüchtigten "Tirailleurs Sénégalais", so eine Art Elitetruppe - andere würden sagen Quislinge oder Verräter - der Franzosen im Kampf gegen andere Afrikaner in ihren Kolonialgebieten. Dies deswegen, weil die Schwarzen weniger anfällig gegen Malaria, Schwarzfieber und andere Tropenkrankheiten waren, als die französischen Soldaten. In der ersten Zeit, ab 1857 unter Napoleon III, rekrutierte man sie aus Sklaven, die man ihren "Besitzern" abkaufte, ferner Kriegsgefangenen und Freiwilligen, zumeist erst aus dem Senegal, später auch aus anderen Regionen und dem Maghreb. Dass diese armen Kerle nun ihre Loyalität eher bei den Franzosen sahen als bei ihren Sklavenhaltern, ist kein Wunder. Zum Dank durften sie dann auch gleich 1870/71 im Deutsch-Französischen Krieg kämpfen, also Afrikaner in Europa für die Franzosen, später auch im Ersten Weltkrieg, wo 200.000 Schwarzafrikaner die "überraschte teutonische Masse mit ihren Bajonetten" erledigten". Anfangs sollten die "olivenfarbigen Teufel und schwarzen Dämonen" möglichst von den "Weißen" getrennt bleiben, um eine Verweichlichung zu verhindern und ihre "ursprüngliche Wildheit" zu wahren. Auf Deutsch: Die schwarze Bestie sollte ihre Bestialität behalten und gegen Frankreichs Feinde richten. Diese Art von Kolonialsoldaten existierte auch bei anderen Kolonisatoren, oft als von der Bevölkerung verachtete oder gefürchtete Helfershelfer. Die Engländer kreierten die Scots Guards und "Gurkhas", die Deutschen hatten ihre "Askari".

Ein bisschen Giftgas gegen die Rif-Kabylen

Eingesetzt wurden sie auch im Rif-Krieg (1921-1926), von dem kaum jemand gehört hat, wo sich Franzosen und Spanier im Kampf gegen die Kabylen unter Abdelkrim, Anführer der vereinten Berberstämme, Eisenerze und Phosphat sichern wollten. Mit dabei auch ein Deutscher. Im November 1921, z.Zt. der Einigung gegen Chemiewaffen, tritt Hugo Stoltzenberg auf den Plan, um eine Giftgasfabrik in der spanisch-marokkanischen Enklave Melilla aufzubauen, wozu die lothringische Firma Schneider (Schneider-Creusot) 1922 als Pflanzenschutzmittel deklariertes Chlorbenzol beisteuert. Stoltzenberg war derjenige gewesen, der als rechte Hand Prof. Habers als erster die Gashähne an der Westfront beim flandrischen Ypern aufgedreht, und so höchstpersönlich den Giftgaskrieg in Gang gesetzt hatte. Ab 1923 herrscht der Gaskrieg im Rif, Märkte, Dörfer, alles, auch ohne militärische Bedeutung, wird eingenebelt. Ein Massaker. Die linke (sic !) französische Regierung schickt Ende Mai 1925 rund 12.000 Soldaten. Marschall Liotet fordert Senfgasgranaten an, die er vermutlich auch erhalten hat, um das rechte Huelga-Ufer zu besetzten und um Abdelkrim vom Getreide im südlichen Rif abzuschneiden. Die "Friedensmission" wurde so erfolgreich beendet. Beim Massaker dabei waren also auch die senegalisischen Schießtruppe, also Afrikaner diverser Herkunft und Maghrebiner (Berber) gegen andere Berber. Es herrschte Ruhe bis zum Algerienkrieg.

Mangels Eigenproduktion schwarzer Nachschub

Ein weiterer Grund für den Ausbau der "senegalisischen Schützen", war die stagnierende französische Bevölkerung, während demgegenüber die in Deutschland kräftig wuchs. General Charles Mangin hatte in seinem aufsehenerregenden, 1910 veröffentlichten Buch "La Force Noire" (Schwarze Truppe oder Schwarze Kraft) nicht zuletzt den Verlust von Elsass-Lothringen im Krieg von 1870/71 verantwortlich gemacht. Die Armee sei zahlenmäßig zu schwach, um in einem künftigen Krieg gegen Deutschland bestehen zu können. Erst durch die Rekrutierung von Afrikanern würde sie gefechtsbereit werden können.
Erst durch ziemlich hohe Fruchbarkeitsprämien gelang schließlich eine Steigerung der Geburtenrate. Im Ersten Weltkrieg, 1915, versprach der schwarze Politiker Blaise Diagne aufgrund des starken Widerstands gegen Aushebungen von Soldaten bei Bamako (Mali) den Schwarzen schließlich die französische Staatsbürgerschaft, um sie zu motivieren, denn so langsam rochen die Afrikaner den Braten und merkten, wozu sie verheizt werden sollten. Das war der Einstieg in das bunte Leben in Frankreich und Futter für eine starke Rechte, die zwar immer für ein starkes Militär plädiert, aber keine "bougnoules" (Schimpfwort) und damit die Folgen des kolonialen Erbes im Lande sehen will.
Der Einsatz der senegalesischen Schützen wurde in Frankreich auch durchaus kritisch gesehen. Bei Bekanntwerden der Einquartierung schwarzer Soldaten im Frankfurter Goethe-Haus nach dem Ersten Weltkrieg fragte die Pariser Zeitung "Le Populaire" entsetzt: "Welcher Kretin hat es für gut befunden, auf diese Weise den Autor des 'Faust' herabzusetzen?" Ähnlich in Deutschland: Von "Schwarzer Schmach" oder "Schande" war die Rede, und Reichspräsident F. Ebert, nannte den Einsatz schwarzer Soldaten auf "niedrigster Entwicklungsstufe" einen Angriff auf die westliche Zivilisation, die eine hochentwickelte Kultur schikanieren würden. Dabei war der nun selbst wirklich ein "Kretin", denn er hielt sich einen Bluthund namens Noske und war auch für die Ermordung Liebknechts und R. Luxemburgs verantwortlich. Es ist unmöglich, dass er nicht eingeweiht gewesen war; auch die heilige Friedrch-Ebert-Stifung der SPD kann an dieser Schande nicht ändern.

Einsatz in Vietnam Dien Bien Phu

Im Jahr 1944 war aber schon ein Teil dieser afrikanischen Quislinge, deren Verhalten ist auch nur psychologisch zu erklären, ist, nämlich als Identifikation mit dem Agressor, in der Zweiten Panzerdivision unter General Leclerc aufgegangen, der sie darauf einschwor, nicht eher zu ruhen, als bis die Trikolore auf dem Straßburger Münster flattern würde.
Warum sie das sollte und das grade mittels afrikanischer Soldaten, wird nicht erklärt. Weil Ludwig XIV. mit seinen Raubkriegen im 17. Jh. erfolgreich gewesen war, als Deutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg geschwächt darniederlag? Warum nicht auch noch gleich über dem Saarland nebst Einverleibung von Kohlezechen und Hüttenindustrie, was eine Volksabstimmung aufgrund amerikanischen Drucks verhindert hatte? Auch Köln war ja mal unter Napoleon französich gewesen, was uns immerhin "4711" als Marke bescherte. Die Rheingrenze war seit dem Mittelalter politisches Ziel Frankreichs gewesen, nur eben nach 1945 nicht mehr in Gänze politisch durchsetzbar.
In Vietnam sollten die "Senegalesen" also die Kohlen für die Franzosen aus dem Feuer holen und den Freiheitskampf der Vietnamesen unterdrücken.

Undank ist der Welt Lohn - Thiaroye-Massaker Thiaroye

Ende 1944 ging es einem Teil der in Europa eingesetzten Senegalschützen schlecht. Rund 1300 von ihnen wurden im November 1944 in den Senegal im Camp de Thiaroye repatriiert. Wegen der schrecklichen Lagerbedingungen und Betrugs durch korrupte Kolonialbeamte bei der Auszahlung ihrer Entschädigung brach eine Revolte aus, bei der zwischen 35 und 300 von ihnen umkamen. Die geschätzte Spanne ist so weit, weil Unterlagen drüber vernichtet wurden.

Feuerwall der Walküren

Leclerc war ab Ende 1945 in Vietnam unterwegs, um auch dort auf "größtmöglicher Fläche Frieden zu schaffen", denn die frechen Viet Minh hatten sich gegen die Kolonialherren erhoben, weil ihnen die versprochenen freien Wahlen verwehrt worden waren. Im Januar 1946 hatte er die Souveränität Frankreichs über Cochinchina und Süd-Annam wiedererrichtet.  Von 1947 bis 1956, dem Abzug der Franzosen, kamen auch die "Senegalesischen Schützen" zum Einsatz. Einen ihrer letzten Einsätze hatten sie in Vietnam 1954 beim Debakel der Franzosen im Talkessel von Dien Bien Phu, auf einem weiteren fernen Kontinent also, mit dem sie nichts zu tun hatten 1.).
Um den Talkessel herum lagen auf den Höhen acht Befestigungen der Franzosen, benannt nach den Verflossenen von Oberst Christian de Castre de Castries: Gabrielle, Beatrice Isabelle ...  Es half alles nichts; Gabrielle wurde gleich übermannt, die anderen purzelten eine nach der anderen. Es hätte Haufen von Ex-Geliebten gebraucht, denn die Viet Minh legten sie alle flach und brachten dort ihre Kanonen in Stellung, was die Franzosen - nunmehr im Tal auf dem Präsentierteller - als unmöglich erachtet hatten. Statt den unfähigen Kerl, verantwortlich für den Tod von 8200 Soldaten, einer Behandlung bei Dr. Guillotin zuzuführen, beförderte man den Schürzenjäger kurz vor der Kapitulation auch noch zum General.
Den Franzosen waren die "Senegalesen" zu Ende verdammt verdächtig, denn sie fürchteten eine Infizierung durch Kontakt mit den Vietkong und kommunistischen Idealen und damit eine mögliche Bedrohung der französischen Kolonialherrschaft in Afrika. Das war der Grund für ihre Auflösung.
Und siehe da: Gleich im selben Jahr, 1954, ging es in Algerien los ... Ein gutes Verständnis liefert der Film Palestro (z.Zt. mal wieder weg bei Youtube, kehrt aber immer wieder).

Was dann in Vietnam folgte, war die Teilung des Landes, schließlich des gefälschen "Tonking-Zwischenfalls" 1964, der in die Fortführung des Krieges durch die Amerikaner mündete: Napalm, Agent Orange ... Ein Trauma für die Franzosen, allen bis heute gewärtig, nicht aber bei uns. Ende der Plantagen, des Opiums, des Kautschuks, des Tees und Kaffees, der Banque d´Indochine, Ende des pseudofeudalen, flotten Lebens, Ende "Indochinas" nach 80 Jahren Ausbeutung, Ende der Liebhaber. Ein Schock. An der Produktion des "Entlaubungsmittels" Agent Orange (Nachfolger ist Roundup v. Monsato) verdiente auch ein Mann, der sogar Bundespräsident werden konnte, in der Folge aber so eine Art "Gedächtnissturz" erlitt.
1964 erfolgte die Auflösung der "senegalesischen" Truppe. Eine wichtige Stellung bei der Indochinabank nahm übrigens ein gewisser René Bousquet ein, Freund Mitterands.
Diese Geschichten sind den Schülern heute unbekannt, den Lehrern vermutlich auch.

Teil I. Hier geht´s zu Teil II., Kampflied, und hier zu Teil III, Beim Menschenfresser

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1.) Es gibt mehrere Filme dazu. Der beste Spielfilm scheint "Diên Biên Phú – Symphonie des Untergangs (Alternativtitel: Die Schlacht von Diên Biên Phú (1993), Die Hölle von Dien Bien Phu (2004) von Pierre Schoendoerffer, Ex-Vietnamkämpfer, zu sein. Leider nicht bei YouTube zu finden, aber für ein paar Cent bei Amazon.

Fotos: a. Deutsches Bundesarchiv, Wikimedia Commons, b. Dien Bien Phu, Public Domain, c. Wandmalerei, Dakar v. Erica Kowal

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