Freiwilliges Soziales Jahr - Portugal

Als Freiwilliger in Portugal

Europäischer Freiwilligendienst in Portugal

Arbeiten und Helfen

„Ist man in Portugal daheim, steht auf dem Tisch stets Brot und Wein“
Numa casa portuguesa fica bem pão e vinho sobre a mesa
(Amália Rodrigues, Fadosängerin: Uma casa portuguesa)

Erfahrungsbericht: Maria Kowalczyk

War das gestern wieder spät. Wir saßen noch etwas mit Freunden in der gemütlichen Runde bei Rotwein und Spielen. Dementsprechend schwer fällt es mir heute früh aus dem Bett zu kommen. Mit einer Hauruck-Aktion entschließe ich mich die stechende Winterkälte, die getreu Nacht für Nacht unter meine Decke kriecht, zu überwinden und schnelle unter die heiße Dusche - Heizlüfter an - huhahh - das tut gut!

Spätherbst in Portugal. Gibt es hier nicht viel Sonne? Nun, im November schaut es auch hier mit der Sonne nicht so brillant aus. Dazu haben die meisten Häuser weder Zentralheizung noch abgedichtete Fenster. "Warum auch, bloß weil's drei Monate etwas kälter wird?" - Gut, akzeptiert. Auf dem Land gibt es ja jede Menge Honig und die Zitronen im Garten sind auch gerade reif geworden. 

Inzwischen ist es neun Uhr. Ich sitze im Bus unserer Aufnahmeorganisation "CerciDiana", der uns zur Quinta bringt. Neben mir Yvonne, die zweite Freiwillige. Wir teilen uns mit zwei portugiesischen Studenten eine Wohnung. Außerdem im Bus: Einige der Freunde, denen wir es verdanken ein Jahr Selbstständigkeit im interkulturellen Austausch verbunden mit dem Facettenreichtum menschlicher Persönlichkeiten zu erfahren. Dies sind Menschen mit körperlicher und psychischer Behinderung und ihre Betreuenden, zumeist Mütter oder Omas ab Mitte 40. 

Wie fing alles an?
Ein Freund erzählte mir etwas von einem Sozialen Jahr im Ausland. Darauf wurde ich bei der Caritas vorstellig, forderte Infomaterial an und sah mich mit meinen zahlreichen Motivationsbriefen erst einmal vor einer Fassade distanzierter Freundlichkeit.

Bis ich beim "Institut für angewandte Pädagogik" (IFAP) in Apolda landete - Treffer Nr. 1!
Sie boten mir einige Projekte an, zu denen schon länger Kontakt bestand. Zudem gaben sie mir die Möglichkeit, Projekte aus der europäischen Datenbank (http://ec.europa.eu/youth/evs/aod/hei_en.cfm) zu wählen. Dort fand ich zudem wichtige Infos rund um den Europäischen Freiwilligendienst.
Favorit gewählt, Bewerbung gefaxt und wieder nichts! Im Süden antwortete man auf meine englische Anfrage nicht. Erst nachdem ich sie übersetzt hatte, war auch dieses Problem gelöst und bald eine Aufnahmeorganisation gefunden - Treffer Nr. 2!  

Daraufhin schickte meine Entsendeorganisation den Antrag für den Europäischen Freiwilligendienst zur deutschen Nationalagentur. Diese hielt die Tätigkeit in meinem Projekt für finanzierenswert, das heißt "gut für Europas Zukunft" - Treffer Nr. 3!

ALEGRIA! Das Chaos war besiegt.
Ungefähr ein Jahr hatte die Geschichte in Anspruch genommen, bis ich schließlich auf der "Quinta do Feijão" - der Bohnenfarm, so der Name - tätig werden konnte. Sehr alt, sehr schlicht, sehr sympathisch. 

Aber Bohnen werden hier schon lange nicht mehr angebaut. Heute werden hier vor allem Menschen mit Behinderung betreut und nebenbei Tradition gepflegt. Sie lernen hier Teppiche am alten Webstuhl zu weben, Brot zu backen, Töpfern, Schreinern und Gartenarbeit. Außerdem erhalten sie Reit- und Schwimmtherapie. Einmal pro Woche besuchen Grundschüler die Quinta, mit denen sie Papier schöpfen oder Theater spielen. Freitagnachmittag ist allerdings für Telenovelas und Talkshows reserviert. Absoluter Liebling: "Rex, O Cão Polícia", eine Krimiserie, deren prominenter Vierbeiner mit seinem feschen Herrchen auch hierzulande erfolgreich schwarze Schafe aufspürte … zu Deutsch: "Kommissar Rex". 

Seitdem Yvonne und ich hier sind, malen sie auch öfter Bilder, verausgaben sich bei Gruppenspielen oder unternehmen Spaziergänge. Manche wollen mit uns Tänze einüben und Schreiben oder ein paar Worte Englisch lernen. Die zu Betreuenden im Alter von 17 bis Ende 40 haben Behinderungen schizophrener, autistischer, epileptischer und spastischer Art. 

Neben ihnen sind auch Jungs im Alter von 14 bis 19 auf der Quinta und lernen Gärtner oder Schreiner, statt in die Schule zu gehen. Sie haben Lernbehinderungen verschiedenster Art oder gelten als schwer erziehbar.
Ferner gibt es hier noch Hunde, Katzen, einen alten Esel, eine alte Kuh, Truthähne, Gänse, Enten, Hühner, Schafe, und manchmal trifft man am Teich eine kleine Landschildkröte.

Heute Vormittag bin ich im "Wohnzimmer" eingeteilt. Das heißt: Auf der Couch zu sitzen und fernsehen mit der Gruppe der Betreuerin Alice. Ich krame irgendwo einen Malkasten und Papier hervor und beginne mit zwei unserer "Kleinen", wie sie von den Betreuenden genannt werden, etwas zu malen. Nach einer Weile gesellt sich Leopoldina zu uns. Sie bestickt gerade ihren neuen Rucksack und lässt sich für die Motive wohl von unseren Bildern inspirieren. Auch Glória schaut vorbei. Sie bringt sich gerade selbst Schreiben und Lesen bei und hat sich ein paar portugiesische Kräuter aus dem Gedächtnis aufgeschrieben. Nun möge ich bitte überprüfen, ob sie richtig geschrieben sind.

Alice hat keine Zeit, mir dabei zu helfen. Sie sortiert gerade Medikamente. Da ich Glórias Schrift nicht entziffern kann, gehen wir zu unseren drei betagten Köchinnen, die sicher bessere Kenntnis der portugiesischen Kräuterküche haben als ich. Nach einer viertel Stunde köstlichen Namenraten ist es auch schon so weit: Mittagessen - laut Joaquina, unserer Chefköchin, ist dies eine geweihte Stunde des Tages. Alles strömt in den Speisesaal, und ich helfe bei der Essensausgabe.

Am Nachmittag werden Oliven geerntet. Leichtfertig schnappe ich mir eine Leiter und Eimer und beginne, die Oliven zu pflücken. Alle sehen mich verwundert an: "Gibt es in Deutschland keine Olivenbäume?" - "Warum?" - Meine Tutorin grinst: "Hast Du noch nie Oliven geerntet?" - "Nein, wie macht ihr das?" Auf dem Boden breitet man ein großes Netz aus. Sodann werden die reifen Oliven mit einem langen Stock von den Ästen geschlagen.

Um fünf Uhr ist der Tag beendet, und der Bus bringt uns zurück in die Stadt. Évora ist der Touristenjuwel der Region "Alentejo". Eine gemütliche Studentenstadt, mit weitläufiger historischer Altstadt, von der UNESCO unter Denkmalschutz gestellt. Kleine, weiß getünchte Häuser pressen sich verwinkelte Kopfsteinpflastergassen entlang aneinander. Ihren Wänden hat die Zeit ihre originelle Form gegeben. Ein Labyrinth, das zum Verlaufen einlädt. 

Auf dem historischen Marktplatz, bei dessen Architektur man sich ins Spätmittelalter zurückversetzt fühlt, riecht es nach frisch gebackenen Kastanien, die ältere Männer und Frauen in den Straßen verkaufen. Ich möchte die idyllische Atmosphäre hier noch etwas genießen, setze mich dazu neben den großen Marmorbrunnen und schreibe eine Postkarte. Jemand tippt mir an die Schulter: "Olá, schreiben Sie schon gut Portugiesisch?" - "Wie bitte?" - ein faltenreiches Gesicht lächelt mir zu: "Ich weiß, dass Sie hier einen Sprachkurs besuchen. Schreiben Sie schon gut Portugiesisch?" - "Ja, danke, inzwischen klappt es schon ganz gut." - "So ist's gut, Adeus!" Ich weiß nicht, wer dieser Herr ist, und woher er mich kennt, aber ähnliche Begegnungen sind mir hier schon öfter passiert. Am Anfang erschreckte mich das noch etwas, weil ich mich beobachtet fühlte. Inzwischen habe ich mich an die Neugier der Portugiesen gewöhnt. Man achtet hier eben mehr aufeinander. 

Die Karte ist fertig geschrieben. In einer der vielen ebenfalls weiß getünchten englischen Telefonzellen rufe ich eine Freundin in Lissabon an. Sie ist eine Freiwillige aus Frankreich. Wir lernten uns auf einem Einführungsseminar kurz nach meiner Ankunft vor etwa einem Jahr kennen. Von unserer damaligen Seminargruppe sind wir die einzigen, die noch in Portugal sind, da die meisten nur sechs Monate blieben. Vergangenen Sommer organisierten wir zusammen für all jene, die ebenfalls wie wir als europäische Freiwillige nach Portugal gekommen waren, ein Camping-Treffen an der Küste. Durch diese und weitere Veranstaltungen, die sich während der Monate ergaben, hatten wir die wunderbare Gelegenheit, Freundschaften mit jungen Menschen aus Europa zu knüpfen und etwas über die Kultur und die Sprache ihres Heimatlandes zu erfahren. Leicht melancholisch denken wir an unsere Freunde, die bereits wieder zurück sind, und daran dass es auch für uns bald soweit sein wird, tauschen Neuigkeiten aus, die wir von ihnen gehört haben und loben das Leben. 

Até logo! … bis zum nächsten großen Treffen am Strand. Ein Kuss auf die Wange und grüß mir die Sterne.

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