Zivildienst Südamerika

Freiwilligendienst in Nicaragua

ADiA - Gemeinnützige Arbeit in Mittelamerika

Dreizehn Monate Freiwilligeneinsatz

Erfahrungsbericht von Daniel Kollmann
Mein Träger hat 10 Waisenheime in verschiedenen Ländern Mittelamerikas und sucht für fast jedes Freiwillige. Obgleich ich kein Spanisch sprach, habe ich mich beworben und nach einem sehr netten Kontakt mit dem deutschen Büro und einem langem, papierreichen und anspruchsvollem Bewerbungsverfahren wurde mir eine Zivildienststelle auf der Insel Ometepe in Nicaragua angeboten.
Der Rucksack wurde gepackt, die Abenteuerlust hatte mich am Wickel, und die Einwände meiner Mutter: Junge, das Land ist noch teilweise vermint, und du holst dir Malaria, wurden beiseite gewischt. Auf nach Nicaragua!

Der Träger hat drei Waisenheime in Nicaragua. Eines für die kleinen Kinder zwischen 0 und 6 Jahren, eins für verhaltensauffällige Jungs und ein generelles: Casa Santiago auf einer Vulkaninsel. Es ist Zuhause für 250 Kinder

Die Kinder wohnen nach Alter und Geschlecht getrennt in vier verschiedenen Häusern. Auf dem riesigen Gelände gibt es außer diesen Gebäuden noch unsere eigene Schule, eine Klinik, ein Freiwilligenhaus, einen Fußballplatz, Werkstätten und einiges mehr. Die Anzahl der Freiwilligen schwankt immer zwischen 5 und 20 Personen. Das hat damit zutun, dass Freiwillige generell gebeten werden, mindestens ein Jahr zu bleiben, um eine stetige Beziehung zu den Kindern aufbauen zu können. Bei Freiwilligen mit einer speziellen Qualifikation, z.B. Ärzten, werden aber Ausnahmen gemacht.

Freiwillige haben im allgemein zwei Aufgaben: Entweder morgens in der Schule als Lehrer tätig zu sein und nachmittags in einem der Häuser Aktivitäten für die Kinder organisieren oder als Erzieher für eine Gruppe von Kindern zu agieren. Ich fing an, morgens in der Schule zu arbeiten und nachmittags bei den kleinen Jungs zu sein.
Meine Arbeit bestand nun daraus, jeden Tag in den fünf Schulstunden nach einem festen Plan Kinder aus ihren Klassen zu nehmen und mit ihnen Mathematik, Spanisch und Englisch zu lernen. Teilweise kommen Kinder zu uns, die mit 10 Jahren zum ersten Mal im Leben einen Stift in die Hand nahmen, weil sie vorher auf den Straßen der Hauptstadt gelebt hatten. Diese Aufgabe verlangt dann sehr viel Eigenmotivation und Geduld.
Die Nachmittage bei den Kindern waren dann immer entspannter. Die Freiwilligen helfen bei den Hausaufgaben, spielen mit den Kindern, verleihen Spiele und Bücher, organisieren Fußballturniere etc.

Meine Aufgabe als Erzieher, die ich in der zweiten Hälfte meines Jahres wahrgenommen habe, ist da schon anspruchsvoller. Die Kinder wohnen jeweils zu zehnt in einer Sektion, für die dann ein Erzieher (Tío) zuständig ist. Ich habe bei den Chicos (7-9 jährige Jungs) angefangen und bin dann gleichzeitig aus dem Freiwilligenhaus aus und in das Haus der Kinder eingezogen. Hier einmal der Tagesablauf:

4.30 Aufstehen, waschen, Frühstücken, Fertigmachen
7.00 Schulbeginnen
13.00 Mittagessen.
15.00 Arbeitsstunde
16.00 Hausaufgaben
17.00 Aktivitäten
18.00 Abendessen
20.00 Schlafengehen

Man sieht, dass der Tag sehr durchstrukturiert ist, was aber bei 250 Kindern absolut notwendig ist. Die Freiwilligen, die als Tíos arbeiten, begleiten die Kinder durch den Tag. Man weckt die Kinder auf und schaut, dass sie fertig werden, bringt sie zur Schule und holt sie dort wieder ab, man schaut, dass sie die Zähne putzen und das 1X1 lernen, man lacht und weint mit ihnen, man bestraft sie und man lobt sie.

Das Leben wird zur Arbeit, die Arbeit wird zum Leben.

Es ist ein sehr intensiver Kontakt mit den Kindern, aus dem man viel mitnehmen kann. Natürlich hat das auch seine negativen Seiten, wenn einfach mal abschalten will und sich nicht damit beschäftigen möchte, wer jetzt wem wieder die Zahnbürste geklaut hat ...
Das Ganze wird noch durch die Lage des Heimes erschwert. An der Insel ist jeglicher Fortschritt vorbeigegangen. Es gibt eine mit Schlaglöchern und Steinen versehene Hauptstraße und viele kleine Dörfer.
Um also abends inm nächsten Dorf ein Bier zu trinken, muss man erst einmal 45 Minuten zu gehen. Da geht man dann abends doch lieber gleich ins Bett. Manchmal allerdings, bei den Fiestas in den Nachbardörfern, gibt es ganze Freiwilligenscharen, die den Weg aufsichnehmen. Man erlebt die Nica-Kultur in Reinform.

Sonntagabend. Eine Party auf einem Basketballfeld. Meterhohe Boxen, die jede deutsche Disko übertrumpfen würden, dazu 2 kleinen Funkellichter die eher an eine Baustelle, als an eine Disko erinnern. Eine Menschenmenge, die aus Plastiktüten selbst gebrannten Rum trinkt und zu Merengue-Musik tanzt. Der Himmel zeigt sich sternübersät, im Hintergrund die Umrisse des Vulkans und in der Ferne Blitze eines Gewitters.

Solche Momente lassen dann einiges vergessen: Die Hitze tagsüber, bei der man sich nicht bewegen möchte, Kinder, die einen manchmal zur Weißglut bringen und die Lust auf eine Scheibe deutsches Brots. An das Essen hier muss man sich natürlich erstmal gewöhnen. Reis mit Bohnen, und das manchmal dreimal am Tag. Am Anfang ist es schon eine Umstellung, aber man gewöhnt sich an alles und lernt dann bei gelegentlichen Besuchen in der Hauptstadt den wirklichen Genuss guten Essens.

Wirklich merkwürdig ist es nur, wenn man von Nicas nach Hause zum Essen eingeladen wird. Die Menschen hier kann man wohl am besten mit zwei Wörtern beschreiben: Gelassen und freundlich. Es wird einem wahrlich das letzte Hemd angeboten. Bei dem Essen hier ist es aber so, dass die Gäste nicht gestört werden. Das bedeutet, dass man einsam sein Essen zu sich nimmt und der Gastgeber sich in der Küche aufhält. Na ja, andere Länder, andere Sitten.

Genauso wie die einheimischen Erzieher habe ich immer 11 Tage gearbeitet und hatte dann 3 Tage frei.Die freien Tage habe ich dann entweder genutzt, um in Nicaragua umherzureisen und das Land kennenzulernen oder einfach mit anderen Freiwilligen mit Proviant, Hängematten und Surfbords an einsame Pazifikstrände zu fahren.

Das Reisen im Land verschafft einen guten Eindruck über die aktuelle Situation im Land. Als dann nach einigen Monaten mein Spanisch auch besser wurde, habe ich es immer sehr genossen, mich mit den Menschen auf der Straße, auf Märkten oder in Bussen zu unterhalten. Vom Massentourismus ist Nicaragua glücklicherweise noch weit entfernt und so staunen die Menschen noch, wenn sie einen knapp 1,90 Meter großen Weißen sehen.

Ich habe aber nie schlechte Erfahrungen gemacht, ganz im Gegenteil. Ich wurde immer freundlich aufgenommen, und auf der Straße blieben Menschen stehen, um sich mit mir zu unterhalten. Generell sind die Menschen viel freundlicher und unbekümmerter als in Deutschland. Es ist immer Zeit für eine kleine Unterhaltung und ein Lächeln. Das zeigt sich natürlich auch in der Musik. Salsa und Merengue hört man jeden Tag und schon die kleinen Kinder auf der Straße können ihre Hüfte schwingen wie wohl kaum jemand in Deutschland. Bei meinen praktischen Versuchen musste ich einmal wieder merken, dass es stimmt: Deutschland das Land der Dichter und Denker; aber auf keinen Fall der Tänzer. Trotzdem macht es unglaublich viel Spaß, mit den Menschen ihre Musik zu genießen und von den Latinas Tanzunterricht zu bekommen.

Dieses Jahr hat in mir die Lust auf weiteres Leben im Ausland geweckt. Mein Studium zielt jetzt in die Richtung und ich hoffe möglichst bald wieder ein Land so entdecken zu können, so wie ich in Nicaragua die Gelegenheit dazu hatte. Das Jahr kann ich nicht zusammenfassen, viel weniger noch erklären, was ich dort erlebt habe. Nur jedem empfehlen, ins Ausland zu gehen und dort zu leben und arbeiten.

Daniel Kollmann

Näheres in unserem Buch "Zivi Weltweit", siehe Onlineshop.

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