Handicapé-WG

Normalität einmal anders

Erfahrungsbericht aus Südfrankreich

Psychische Krankheit erleben

Seit 1984 leben in Condrieu (40 Kilometer südlich von Lyon) in einer schönen alten Villa 21 nicht ganz gewöhnliche junge Menschen. Sie leben hier, weil sie durch schwere Persönlichkeitsstörungen und psychische Leiden, die sich in Psychosen und Autismus äußern, stark behindert sind, und ihnen ein selbständiges Leben in ihren Familien und in der Gesellschaft nicht möglich ist.

Im l’Echappée wird versucht, diese jungen Menschen als Persönlichkeiten zu betrachten und ihnen eine lebbare Normalität zu ermöglichen. Dazu gehört, ihnen neben einem geregelten Alltag, einer Gegenwart, eine Vergangenheit (durch Zusammenarbeit mit den Familien, Aufarbeitung ihrer persönlichen Geschichte), vor allem jedoch eine Zukunft zu ermöglichen – wenn auch angesichts der finanziellen und politischen Zwänge, denen die Bereiche Behinderung und psychische Krankheit ausgesetzt sind, jedes Engagement für die Betroffenen Teil einer Illusion ist. Das heißt, dass Einrichtungen wie l’Echappée immer wieder mit absurden administrativen, politischen und finanziellen Hindernissen konfrontiert sind, an denen sich Ideale, Ideen, Motivation und Begeisterung im Laufe der Jahre mürbe reiben können.

Das tägliche Leben in „Le deuxième“, der zweiten Etage, schert sich jedoch wenig um solche grundsätzlichen Probleme. Le deuxième – dazu zählt eine manchmal verschlossene Tür, oft viel Lärm und Trubel, manchmal sehr irdische Gerüche, eine „Equipe“ von sechs Betreuern (und ich mittendrin), aber vor allem gehören dazu sieben junge Menschen, deren Leben wir mindestens fünf Tage die Woche und fast 24 Stunden am Tag teilen.

Mein Arbeitstag beginnt oft um 8.00 Uhr. Da kann es passieren, dass ich von ein paar Frühaufstehern schon auf der Treppe empfangen werde. Während der täglichen Waschungen, die beispielsweise ein Bewohner mittels zweier Schaumbadflaschen in kürzester Zeit in bedrohliche Seifenschaumfluten verwandeln kann, kümmert sich ein  Kollege bereits um das Frühstück. Und wie von Zauberhand weckt der Kaffeeduft peu à peu die übrigen Bewohner, so dass plötzlich alle sieben in der Küche stehen. Im gleichen Tempo wie der Lärmpegel steigt, nimmt unsere morgendliche Aktivität zu. Da werden Schuhe zugebunden, Stullen geschmiert, Kaffee verschüttet, Telefonate entgegengenommen, Medikamente verteilt ...

Die Mahlzeiten gehören für viele unserer Bewohner zu den einzigen festen Anhaltspunkten ihres täglichen Lebens. Mit den Vorbereitungen und immer wiederkehrenden Handlungen (z.B. Medikamenteverteilen) ermöglichen sie ihnen und uns einen Augenblick der Gemeinsamkeit. Die Notwendigkeit oder Lust zu essen lässt es für einen Moment lang zu, sich aus der eigenen autistischen Welt ein klein wenig vorzuwagen, um an unseren gesellschaftlichen Riten teilzunehmen.

Für den Nachmittag sind diverse Aktivitäten vorgesehen: Da gibt es ein kleines Auto ohne Führerschein, mit dem unsere Bewohner auf einem dafür vorgesehenen Parcours ihre Runden drehen können. Dann ist da der Sportnachmittag mit Max: Schwimmen, Schlittschuhlaufen und Mountainbikefahren. Und in einem Brotbackofen werden alle zwei Wochen köstliche Brötchen gebacken ...

Ich selbst gestalte zwei Aktivitäten mit: Musik – mein eher bescheidenes Repertoire auf der Gitarre stößt auf erstaunliche Resonanz – und Malerei, eine Arbeitsgemeinschaft, aus der schon bemerkenswerte Arbeiten hervorgegangen sind, und die es schon zu einer öffentlichen Ausstellung gebracht hat. Diese Aktivitäten sind sehr wichtig für unsere Bewohner; sie bieten ihnen Abwechslung und Regelmäßigkeit zugleich. Ich kann oft beobachten, wie sie dabei viel ausgeglichener und ruhiger sind als sonst im Alltag.

Nach dem Abendessen und den Hausarbeiten bleibt noch Zeit zum Fernsehen, Musikhören oder Erzählen. Ruhe kehrt oft erst gegen Mitternacht in dem ansonsten so geräuschvollen Haus ein, und unter einem wunderschönen Abendhimmel gehe ich nach einem langen Arbeitstag die paar Schritte bis zu mir nach Hause.
Katrin

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