Erfahrungsbericht aus Südamerika
Arbeit in einem Krankenhaus in Peru
Freiwilligendienst in einer anderen Welt
"Abitur - was dann?" Diese Frage stellte ich mir wie viele andere schon seit Beginn der Oberstufe. Die Zeit vor dem Studium nutzen, um ins Ausland zu gehen, stand für mich fest.
Weltreise, Au-pair, Work-and-Travel, Freiwilligendienste ... die Liste ist lang. Letzteres reizte mich jedoch besonders, "mal etwas für andere zu tun", nachdem ich nun fast zwanzig Jahre wohlbehütet in Deutschland aufgewachsen war.
Die Kehrseite der Medaille unserer Wohlstandsgesellschaft kennenlernen, in eine neue, fremde Kultur eintauchen, und sich solidarisch mit Menschen zeigen, die nicht in einem der reichen Industriestaaten leben und Tag für Tag mit gänzlich anderen Problemen konfrontiert werden als wir.
So bewarb ich mich im Winter vor drei Jahren bei der "Fachstelle Freiwilligendienste / Friedensdienste " in Freiburg, die jedes Jahr junge Leute nach Peru und Israel entsendet.
Nach einem intensiven Auswahlverfahren sowie Vorbereitungen in Form von Wochenenden und Seminaren wurden wir unter engagierter und erfahrener Betreuung auf Peru bzw. Israel vorbereitet.
Mit dem Abitur in der Tasche hieß es dann am ersten September dem vertrauten Deutschland für ein Jahr den Rücken zu kehren und sich zusammen mit zehn anderen Voluntarios (Freiwilligen) einem Land zuzuwenden, das mit keinem Land in Europa vergleichbar ist.
Nach drei Einführungswochen mit Sprachunterricht in der Hauptstadt Lima wurde jeder einzelne unserer Gruppe an seinen Einsatzort geschickt, so daß die Gruppe über das ganze Land verteilt fand. Wir lebten in Gastfamilien, in den Einrichtungen selbst oder in der Gemeinde.
Bei den Einsatzstellen handelt es sich u.a. um Kindertagesstätten, Schulen, Kindergärten oder Anlaufstellen für junge, alleinerziehende Mütter.
Ich selbst zog in den Norden Limas, in einen Vorort namens Pro zu einer Gastfamilie und arbeitete in einem Krankenhaus und in einer ambulanten Krankenstation.
Die Aufgabe eines Voluntarios bzw. einer Voluntarias im Allgemeinen besteht nicht darin, eine unersetzliche Hilfskraft oder gar Entwicklungshelfer zu sein, den Einheimischen "die Lösung“ zu präsentieren oder zu versuchen, dort unsere Vorstellungen von Leben, Arbeit, Moralvorstellungen etc. durchzusetzen.
Dies ist manchmal gar nicht so einfach, wenn man mit Gewalt in der Schule, mit Machismus oder einem gänzlich anderen Arbeitsrhythmus konfrontiert wird ...
Jedoch besteht unsere Aufgabe im Setzen kleiner Zeichen, Interesse an den Menschen zu zeigen, der Kommunikation, dem Austausch und dem Teilen in vielerlei Hinsicht.
Dies geschah nicht nur bei der Arbeit, sondern genauso in der Familie, im Freundeskreis, in der Pfarrei oder auf der Straße.
Auf diese Art und Weise lernte ich so viel von meinen Mitmenschen und andersherum stellten wir für die Peruaner und Peruanerinnen oft den ersten oder einzigen Kontakt zu Europa dar. So bleiben auch für sie viele Erinnerungen haften und formen ein Bild.
Ich lebte mit meiner Gastfamilie, die aus vier Gastgeschwistern und meinen Gasteltern bestand, in sehr schlichten Verhältnissen.
In den Vororten der Großstädte und in vielen Teilen Perus enden die geteerten Straßen, es gibt nur kaltes Wasser und es herrscht Armutskriminalität.
Dies ist verständlich, etwa die Hälfte der peruanischen Bevölkerung lebt in tiefer Armut; die offizielle Arbeitslosigkeit liegt bei über neun Prozent (dürfte aber weitaus höher liegen), und obwohl alle Kinder schulpflichtit sind, besuchen nur Dreiviertel der Kinder die Schule. Ein Drittel der Bevölkerung sind Analphabeten.
Obwohl die Menschen so viel weniger haben als wir, brachten sie mir viel Herzlichkeit und Wärme entgegen und teilten das Wenige, was sie besaßen, mit mir. Dies war selbstverständlich für sie und beeindruckte mich tief.
Armut war ein ständiger Begleiter in diesem Jahr, auch bei meiner Arbeit. Ich arbeitete in einem Krankenhaus für Menschen, die sich sonst keine Behandlung leisten könnten.
Es ist oft nicht einfach sich mit solchen Schicksalen auseinanderzusetzen: Viele litten unter Schmerzen - konnten sich aber keine Schmerzmittel leisten -, Mütter hatten keine Windeln für ihre neugeborenen Babys, so daß wir mit Plastiktüten und Handtüchern aushalfen.
Oft fehlt den Angehörigen in Begleitung der Patienten das Geld für eine (warme) Mahlzeit am Tag ...
Es ist so bereichernd mit diesen Menschen zu sprechen und ihnen manchmal, wenn auch nur im Kleinen, etwas Gutes zu tun. Es mag einem manchmal wie der berühmte Tropfen auf den heißen Stein vorkommen, doch bedeutet den Menschen jede Geste, jede Berührung und die Anteilnahme oft schon viel.
Ich half auf einer Neugeborenenstation, in der Pflege der Postoperativen, in der Pediatrie und bei freiwillig arbeitenden Frauen.
Letztere versorgten die Patienten mit warmen Mahlzeiten, dem ein oder anderen Medikament, das sie aus Spenden finanzierten und leisteten außerdem spirituellen Beistand. Religion spielt in Peru eine wichtige Rolle, so daß man bereit sein sollte, sich damit auseinanderzusetzen und sie mitzuleben.
Ich sang in einem Kirchenchor der Gemeinde mit, nahm an einer Kindergruppe als Betreuerin teil und lernte viel bezüglich des Glaubens.
Auch wenn mir vieles manchmal fremd erschien oder man einige Ansichten nicht übernehmen kann oder möchte, so ist es immer wichtig, nicht zu werten und manche Dinge einfach stehenzulassen, um die Menschen, für die der Glaube so zentral ist, nicht zu verletzen.
Schließlich waren wir, egal wie sehr wir uns irgendwann zu Hause fühlten, immer Gast in diesem Land und hatten dies zu respektieren.
Der Abschied von Familie, Freunden und Arbeitskollegen nach einem Jahr fiel sehr schwer, wie auch der Neuanfang in Deutschland, einer doch eigentlich vertrauten und plötzlich so fremdgewordenen Welt.
Vieles sehe ich nun kritischer und in einem anderen Licht.
Dieses Jahr in Peru hat jeden von uns sehr geprägt und ist ein wichtiger Abschnitt unseres Lebens. Ich blicke auf ein intensives, erfahrungsreiches, spannendes, manchmal schwieriges Jahr zurück, das gekennzeichnet war von vielen Glücksmomenten und Erinnerungen, die ein Leben lang haften bleiben werden ...
Eine wirklich wertvolle Erfahrung nach dem Abitur und vor meinem Studium. Mittlerweile studiere ich in Aachen Medizin.
L. Gärtner
Hier gibt´s weitere Erfahrungsberichte
Hier gibt´s das Werk eines Insiders über Peru, in dem alles zusammengestellt ist, was man wissen muss, Alltag, Probleme, Mentalit ...
Und hier Näheres zu Freiwilligendiensten im Ausland.