Bolivianischer Abschied

Ende des sozialen Jahrs

Ein unvergesslicher und schwerer Abschied

Unverständliche Worte und Schluchzen als Abschiedsrede

Je näher der Abschied rückte, umso schwieriger fiel es mir, mich zum Unterrichten aufzuraffen und meine Stunden mit Inhalten zu füllen; in der letzten Woche zog ich es vor, mit den Jüngeren einfach auf dem Vorplatz spielen zu gehen und mich mit den Älteren über Gott und die Welt zu unterhalten. Meine Heimat in Deutschland erschien mir in diesen Tagen so fern wie noch nie, und mehr als einmal dachte ich darüber nach, meinen Aufenthalt noch einmal um weitere drei Monate zu verlängern. Wie gut, dass mich von diesen Gedanken die Gewissheit ablenkte, dass der bereits gebuchte Rückflug nicht mehr umzubuchen war und ein Abschied sich sowieso nicht unbegrenzt herauszögern lässt. Mein letzter Schultag fiel auf einen Freitag, und als ich morgens zur Schule kam, schrieb ich das mit blauen und weißen Luftballons (blau und weiß sind die Schulfarben) geschmückte Schulgebäude dem Empfang Schwester Elsas zu, die an diesem Tag von ihrem Besuch des Gymnasiums in Deutschland wiederkommen sollte. Zwei Säulen des Vorplatzes, von denen eine mit Luftballons in den Farben der deutschen und die andere in den Farben der bolivianischen Flagge geschmückt war, ließen mich dann doch stutzig werden. Während ich seelenruhig meine letzten Stunden in der ersten Klasse mit Märchenvorlesen verbrachte, fiel mir die emsige Tätigkeit außerhalb des Klassenraums überhaupt nicht auf; auch die für alle Lehrer bereitgestellten „empanadas“ im Lehrerzimmer ließen mich nichts erahnen. Schließlich zitierte man mich zum Vorplatz, der inzwischen mit Plakaten geschmückt war, die englische und deutsche Aufschriften trugen: „Barbara – alles Gute“ „Barbara – our best friend“ „Friends forever“. Tatsächlich hatten Lehrer und Schüler einen „acto cívico“ für mich vorbereitet, in dessen Rahmen alle Kurse etwas präsentierten. Die Kleinen trugen Gedichte und Lieder vor, die ich mit ihnen gelernt hatte, die Siebener ein Theaterstück, die Achter tanzten und die „promoción“ (Abiturjahrgang) schenkte mir eine gemeinsam gemalte, wunderschöne Kohlezeichnung des Guapomós. Besonders rührte mich die Übergabe zweier Gedichtsmappen seitens der beiden Vorabiklassen, in denen mir jeder Schüler ein Gedicht mit wunderschönen Zeichnungen geschrieben hatte. Die Drittklässler hatten mir aus Ton ein Telefon gefertigt, damit ich sie mal anrufen kann, und zwei Zehner hatten sogar ein Abschiedslied gedichtet. Zu guter Letzt trug dann noch die Schulband einige bolivianische Standardabschiedslieder vor, und spätestens ab diesem Moment war dann alles vorbei: Dieses emotionale und offenherzige Völkchen hatte sogar mich, den verschlossenen deutschen Emotionsmuffel, zu Tränen gerührt, so dass meine Abschiedsrede sich auf ein paar unverständliche Worte und unverkennbares Schluchzen reduzierte. Beladen mit selbstgehäkelten Deckchen, selbstgeschnitzten Figürchen und kunstvollen Zeichnungen trat ich dann den Heimweg an. Mit so viel Dankbarkeit hatte ich nicht gerechnet und tiefe Bewunderung erfüllte mich für diese Menschen, die kleinste Anstrengungen mit soviel Aufmerksamkeit beschenken.

Bolivianische Abschiede beschränken sich niemals auf nur einen Tag, und das gesamte Wochenende musste ich weitere emotionsreiche Stunden über mich ergehen lassen: Die Lehrerschaft hatte am Nachmittag ein Abschiedskuchenessen organisiert, um mir als Dankeschön eine wunderschön geknüpfte Tasche zu übergeben; den Samstag widmete ich dem Abschied von den Missionaren, aus dem in dem Jugendinternat in dem die Jugend campiert hatte, die mich mit einer kleinen Abschiedfeier überraschten; und am Sonntag klingelten mich die Idente-Jugendlichen früh morgens aus dem Bett, um einen letzten gemeinsamen Ausflug zu einem nahegelegenen See zu machen. Nach einer Hals-über-Kopf- Aktion gelang es mir, meine Koffer im letzten Moment fertig zu packen und noch einige Freunde zu besuchen, bevor dann am Abend meine „flota“ nach Santa Cruz abfuhr. Auch an der „flota“ stand noch einmal eine Menschengruppe, um mir ein letztes Abschiedslied zu singen.

Recht benommen und schlaflos verbrachte ich die Fahrt durch eine sternenklare Nacht nach Santa Cruz. So viele Eindrücke und Erfahrungen geisterten mir im Kopf herum, für deren Verarbeitung ich noch lange brauchen und von denen ich mein ganzes Leben lang zehren werde, die mich viele Aspekte meines Lebens in neuem Licht erscheinen lassen. Ich habe versucht zu geben, und dennoch bin ich mir sicher, dass ich unendlich mehr empfangen habe; nicht eine neue Sprache oder großartige Erkenntnisse, sondern das tägliche Miteinander mit den Menschen eines Ortes, das schrittweise Kennenlernen ihrer Denkweise, Träume und Probleme sind es, die meinen Aufenthalt in Bolivien ausgemacht haben. Ich durfte sehen, wie Menschen trotz materiellen Mangels eine uneingeschränkte und herzliche Freude am Leben empfinden können, musste jedoch gleichzeitig die schweren Lebensumstände vieler Familien und die erschreckenden Mängel an einfachster Versorgung, Bildung und Zukunftschancen miterleben. Ich habe diesen Ort einerseits als einen Ort voller Widersprüche und Konflikte, Tränen und Ungerechtigkeiten im täglichen Überlebenskampf der Menschen kennen gelernt; und andererseits als eine Oase der Offenheit und Gastfreundschaft, innerer Zufriedenheit und Freude. Fest steht, dass wohl auch für mich die Weisheit jenes alten ignacianischen Sprichwortes gilt: „Quién tomó el agua del Guapomó una vez, volverá siempre.“ – „Wer das Wasser des Guapomós einmal getrunken hat, wird immer wieder zurück kehren:“

Die Frage ist nur noch: Wann?

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