Kibbuz: leben und arbeiten
Kibbuzim als gesellschaftliche Erscheinung
»Im Kibbuz leben und arbeiten - was kommt da eigentlich auf mich zu?«
Auf den folgenden Seiten soll diese Frage möglichst umfassend beantwortet werden. Von der Anmeldung bis zum Wäschewaschen wurde versucht, alle wichtigen Aspekte des Arbeitsaufenthaltes zu behandeln und dem zukünftigen Volontär einen praktischen Leitfaden an die Hand zu geben. Auch einige andere Punkte wurden miteinbezogen:
Ein längeres Kapitel ist der Arbeit im Moschaw gewidmet. Denn in dem Maß, wie die Kibbuzverbände die Zahl der Volontäre drosseln, wird ein Moschawaufenthalt zur immer geläufigeren Alternative für freiwillige Helfer in Israel.
Sowohl im allgemeinen Teil als auch in der Kibbuzliste taucht mehr als einmal die Geschichte, die bewegte und aufregende Vergangenheit der Kibbuzbewegung auf. Diese Passagen sollen die Entwicklung zur gegenwärtigen Situation verständlicher machen.
Ein ausführlicher Beitrag von Ari Lipinski ist der Kibbuzindustrialisierung gewidmet.
Im Kapitel »Kibbuz und Volontär von A - Z« sind alle praktischen Tips und Hinweise für Volontäre zusammengefaßt.
Die Israel-Reiseinformationen erteilen Auskunft über die wichtigsten Fakten, die auch für einen Kibbuz- oder Moschaw-Reisenden von Belang sind.
Israel ist kein mit einfachen Worten zu skizzierendes Land. Zwischen den alltäglichen Pressemeldungen über militärische und politische Konflikte spielt sich der Alltag von vier Millionen Einwohnern ab - einer Bevölkerung, die aus so vielen kulturellen und politischen Einflüssen lebt, dass es unmöglich ist, ein einheitliches Urteil zu fällen. Allein die etwa 3,3 Millionen Juden sind aus über siebzig verschiedenen Nationen eingewandert oder in Palästina ansässig gewesen; dazu kommen fast 600.000 arabische Moslems, 80.000 Christen und 35.000 Drusen.
Widersprüche und Auseinandersetzungen, die Palästina seit Beginn dieses Jahrhunderts - aber eigentlich schon von Anbeginn der geschichtlichen Aufzeichnungen - erleidet, haben auch die Kibbuzim und ihre Bewohner in verschiedener Weise geprägt. In diesem Buch kann und soll die aktuelle politische Auseinandersetzung im Nahen Osten nicht behandelt werden.
Wer nach Israel reist, um dort zu arbeiten, wird sich sicher aus anderen Quellen umfassend über gesellschaftliche, historische und politische Aspekte informieren können.
Was den jüdisch-arabischen Konflikt angeht, möchte ich nur kurz andeuten, dass heute Kibbuzniks den Kern der Friedensbewegung bilden. Dies soll uns freilich nicht die Augen verschließen vor der Tatsache, dass auch in der Kibbuzbewegung unterschiedliche politische Anschauungen herrschen.
Nur wäre es nicht gerecht, wie Gunnar Heinsohn in seiner Bestandsaufnahme der Situation in den Kibbuzim der siebziger und frühen achtziger Jahre schreibt (in: Das Kibbutz-Modell, Frankfurt 1982), die Kibbuzim als gesellschaftliche Erscheinung zu ignorieren, weil sie gerade in einem Land ansässig sind, dessen Politik zum Gegenstand internationaler Kritik wurde.
»Wer also den Kibbuzniks aus der Verstrickung in die Probleme der Flüchtlinge von 1948 (der Palästinenser, JM), an der sie gewiß zu tragen haben, nun einen Strick drehen wollte, würde ihrem Lebensschicksal nicht gerecht und leistete für die soziale Emanzipationsbewegung, die auf dieser Erde sonst ja kaum noch zukunftsweisende und zugleich praktikable Projekte vorzuzeigen hat, keineswegs einen hilfreichen Dienst.« (...)
Volontäreinsätze in Israel
Auch wenn die Euphorie der ersten Jahre über die Volontäreinsätze längst verflogen ist und Israel seit Beendigung des Kalten Krieges, den frühen neunziger Jahren also, sich nach Zuwanderung hunderttausender Juden aus der ehemaligen Sowjetunion auch bei einem Wirtschaftswachstum von über fünf Prozent kaum in der Lage sieht, ausreichend Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, bietet ein Arbeits- oder zumindest Ferienaufenthalt im Kibbuz immer noch eine gute Gelegenheit, diese ganz besondere Lebensform und damit einen Teil der israelischen Gesellschaft kennenzulernen und gleichzeitig mit Leuten aus allen Teilen der Welt zusammenzutreffen.
Persönliche Beziehungen haben für eine erfolgreiche Vermittlung von Freiwilligen in den zurückliegenden Jahren freilich an Bedeutung gewonnen, und an die Bewerbung werden seitens der Vermittler ganz bestimmte Voraussetzungen geknüpft: hinsichtlich der Mindestaufenthaltsdauer, dem Buchen kompletter Arrangements, der Teilnahme an Hebräisch-Sprachkursen, dem Alter der Bewerber usw. Diese erschwerten Bedingungen sollten aber niemanden von einer Bewerbung abhalten, dessen Aufenthaltswunsch einem ernsthaften Interesse entspringt. Denn die Zahl der Einwanderer könnte schlagartig zurückgehen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen - bei einer Fortführung des mühsamen Friedensprozesses im Nahen Osten, insbesondere einer Verständigung mit Syrien - dürften sich zumindest langfristig weiter verbessern.
Nicht zuletzt ist Israel auch ein südliches Land, in dem nicht wenige kältegeplagte Europäer überwintern. Das inzwischen eng geknüpfte Netz an Kibbuz-Gästehäusern bietet dafür ideale Voraussetzungen.