Gleichberechtigung von Mann und Frau

Gesellschaft im Kibbuz

Gleichen Rechte und Pflichten

In der Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau sind die Kibbuzim mit großem Anspruch angetreten. Jedes Kibbuz-Mitglied sollte die gleichen Rechte und Pflichten, die gleichen Voraussetzungen haben. Bedingungen wurden geschaffen, um die Frau von ihren traditionellen Pflichten zu entlasten: Erziehung der Kinder im Kinderhaus, Rotation der Ämter und Arbeitsbereiche, so dass im Prinzip jeder alles machen konnte. Heute gibt es in manchen Bereichen eine Rückkehr zu traditioneller Rollenaufteilung: Frauen arbeiten mehr im Kinderhaus, in der Küche, im Büro, Männer kümmern sich vorwiegend um die harte Landarbeit. Ob von den Frauen gewollt oder nicht, das Ideal der Gründerzeit scheint langsam aber sicher durch die neuen-alten Verhaltensmuster ersetzt zu werden (mehr dazu im Kapitel »Frauen im Kibbuz«).

Gerade in den Kernfragen des Kibbuzlebens ist eine Rückwärtsentwicklung nicht zu übersehen: Die Übernachtung der Kinder im Kinderhaus - früher ein Sakrament der Kibbuzbewegung, das allen Veränderungswünschen standhielt - ist heute weitgehend durch die Übernachtung bei den Eltern abgelöst. Überhaupt verliert das Kinderhaus als völlig eigenständige Gegenwelt zur elterlichen Wohnung an Bedeutung. Je nach politischem und gesellschaftlichem Standort des Kibbuz ist die Familie als Mittelpunkt der Siedlungsgemeinschaft mit unterschiedlich großen Schritten auf dem Vormarsch. Speisesaal und Clubhaus, beides Zentren des Gemeinschaftslebens, werden gerade in den größeren Kibbuzim nicht mehr von allen Kibbuzniks als absolutes Muss für die Begegnung und Freizeitgestaltung gesehen. Und hier wie überall locken Fernseher und Videoanlagen manche Familie eher ins heimische Wohnzimmer als zu einem gemeinsamen Fest oder Musikabend.

 

Jung und alt

Ein weiterer Bereich fortgesetzter Diskussion ist das Verhältnis der jungen zur älteren Generation - besonders deutlich im Verständnis für den Wert der Kibbuz-Errungenschaften. Genau wie in allen anderen Gesellschaften empfinden es die Älteren als Mangel, dass die heutige Generation Errungenschaften für selbstverständlich nimmt, die im Lauf der Jahrzehnte unter schwerer Arbeit und großen Anstrengungen zum Standard geworden sind. Dies ist nicht nur ein Sich-Beklagen über das Unverständnis der Jungen, es ist für diese auch allmählich Bestandteil einer Sinnkrise. Wer nicht vergleichen kann, wer für die gegenwärtige Situation keinen Maßstab angesichts einer überwundenen Krise findet, kann auch die heutigen Verhältnisse nicht ausreichend einschätzen.

 

Beispiel Religion: die älteren Kibbuzniks wussten sehr wohl, was sie aufgaben, wenn sie die religiösen Gebräuche ihrer Vorfahren über Bord warfen. Die Heutigen entdecken gerade wieder ihr Interesse für die jüdische Religion - und jede Art und Metaphysik - und erst im Vergleich werden sie in der Lage sein zu beurteilen, was der Kibbuz und seine Ideologie ihnen gibt und was nicht.

Die Kibbuz-Aussteiger, die es immer noch gibt (ganz aktuell bewirkt allerdings die schlechte Wirtschaftslage einen Rückgang dieses Prozentsatzes), tun dies nach einschlägigen Erhebungen nicht aus ideologischen, sondern aus wirtschaftlichen oder persönlichen Motiven. Für sie gilt es nicht mehr so wie für die Pioniere, Neuland zu erobern, die Verwirklichung des Ideals zu erkämpfen. Sie vergleichen ihre persönliche Situation ganz nüchtern mit den Möglichkeiten »draußen« und kommen manchmal zu dem Ergebnis, dass sich ihnen in der Stadt bessere Chancen bieten, dass sie mehr persönliche Freiheit genießen würden. Nicht wenige Aussteiger scheitern aber gerade am wirtschaftlichen Stress.

Was das Verhältnis von Kibbuzniks zu Volontären anbelangt, so vollzieht sich im Moment auch ein Wandel. Waren die freiwilligen Helfer noch vor zehn Jahren gern gesehen und für die Erledigung mancher Arbeiten (z.B. Ernteeinsätze) unentbehrlich, so begegnen ihnen immer mehr Kibbuzniks mit Distanz. Zum einen mag durch die hohe Fluktuation das Aufnahmevermögen für neue Freundschaften erschöpft sein, zum anderen zirkulieren aber auch innerhalb der Kibbuzim Gerüchte, wie z.B. über die Trinkfestigkeit der Briten oder es gibt Angst vor Drogeneinfuhr und anderen angeblich durch Volontäre eingeschleusten Segnungen der Zivilisation. Zudem werden die Volontäre nicht mehr so sehr als Arbeitskräfte gebraucht. Freie Stellen werden aus verständlichen Motiven zuerst mit arbeitslosen Israelis gefüllt. In vielen Kibbuzim nehmen die Garins, Wehrpflichtige, die einen Teil ihres Dienstes im Kibbuz ableisten, die Stellung und Unterkünfte der Volontäre ein.