Aspekte der Industrialisierung
Organisierung
Die Erfolgsgeschichte einer Organisation
Die Geschichte der Kibbuzindustrie ist die Erfolgsgeschichte einer Organisation. Daher will man schon die Besonderheit dieser Organisation verstehen. Wer eine klare Organisationsskizze erwartet, wird bald enttäuscht sein. Denn genau dies lässt sich in der Kibbuzindustrie nur schwer beschreiben. Das Bild ist von Kibbuz zu Kibbuz und manchmal sogar im selben Kibbuz von Fabrik zu Fabrik verschieden. Es handelt sich um einen weitgehend informellen Aufbau der Organisation, und doch wollen wir einige typische Merkmale nennen.
Die Kibbuzindustrie ist, wie auch die anderen Produktionsmittel des Kibbuz, Eigentum der Allgemeinheit. Daher bestimmen letztendlich die Kibbuzorgane die Richtlinen der Arbeit.
Zu diesen Richtlinien, die jede Kibbuzfabrik allgemein zu verwirklichen sucht, zählen Prinzipien wie: Selbstarbeit, Mitbestimmung, Rotation in Entscheidungspositionen, Motivation ohne Zwang und ohne Geldprämien. Die Organisation muß auf diese besonderen Bedingungen eingehen. Wer nimmt am Entscheidungsprozess teil? Nennen wir die wichtigsten Akteure:
* Kibbuzmitglied
* Fabrik-Vollversammlung
* Fabrikdirektion
* Kibbuz-Sekretariat
* Kibbuz- Wirtschaftskommission
* Kibbuz-Arbeitskommission
* Wirtschaftsausschuß des Kibbuz-Dachverbandes
Das Hauptmerkmal der Kibbuzfabrik ist nicht die Organisation, sondern die Improvisation. Ein weiteres Charakteristikum der Kibbuzindustrien liegt in der Freiwilligkeit der Mitarbeit. Es gibt keine schriftlichen Arbeitsverträge, die Rechte und Pflichten festlegen.
Formal gesehen hat die Vollversammlung des Kibbuz die höchste Autorität des Industriewerkes inne, denn die Fabrik gehört dem Kibbuz. Aus Gründen der Zweckmäßigkeit sind die Entscheidungsbefugnisse an die Werksdirektion delegiert worden. Die Direktion leitet die laufenden Geschäfte. Entscheidende Beschlüsse wie Ausmaß der Investitionen oder Personalfragen werden nicht von der Fabrik allein gefällt. Finanzfragen werden vom Kibbuzschatzmeister und von der Wirtschaftskommission des Kibbuz, die den gesamten Haushaltsplan des Kibbuz aufstellen, mitbestimmt. Der Haushalt muß von der Vollversammlung genehmigt werden.
Die Personalfragen der Fabrik betreffen direkt die anderen Arbeitsplätze im Kibbuz. Braucht man mehr Leute im Werk, dann muss man im anderen Zweig des Kibbuz auf sie verzichten. Das Sekretariat kann Richtlinien für die Erweiterung bzw. Reduzierung des Teams aufstellen und der »Arbeitsminister« des Kibbuz übt seinen Einfluss auch auf die Besetzung der jeweiligen Positionen im Werk aus. Die Mitbestimmung des »Arbeitsministers« ist notwendig, weil die Bedürfnisse der Fabrik im Rahmen des Gesamtbildes der Kibbuzwirtschaft gesehen werden müssen. Der Kibbuz ist ein in sich relativ geschlossener Arbeitsmarkt, der vom Sekretariat verwaltet wird. Früher wurde man je nach den täglichen Bedürfnissen zur Arbeit beordert. Heutzutage hat praktisch jedes Mitglied Anspruch auf einen ständigen, ganz bestimmten Arbeitsplatz. In einer Fabrik ist es vor allem auch durch die spezielle Ausbildung gar nicht mehr anders möglich. Aber es kann vorkommen, dass die Direktion auf einen Fachmann verzichten muss, weil er anderswo im Kibbuz dringend gebraucht wird. Hier sieht man manchmal das Dilemma zwischen sozialen Prioritäten und wirtschaftlichen Kosten. Im Kibbuz hat die gesellschaftliche Überlegung oft den Vorrang. Dies bedeutet aber auch, dass von der Industrie freiwerdende Kräfte nicht arbeitslos bleiben, sondern anderswo im Kibbuz eingestellt werden. Dazu sei gesagt, dass alle Mitarbeiter gleich besoldet werden. Die Bereitschaft, leitende Positionen mit viel Verantwortung anzunehmen, hängt also nicht vom Gehalt ab. Die Maxime des Wechsels bei den »Machtpositionen« sorgt für ständige Mobilität der Führungskräfte. Wie die Aufgabenverteilung im Werk selbst aussieht, ist von Fabrik zu Fabrik verschieden und wird fabrikintern beschlossen. Solange es keine Misserfolge oder Streitfälle besonderer Art gibt, mischen sich die Kibbuzorgane nicht ein.
Zur Organisation der Kibbuzindustrie sollte noch gesagt werden, dass die Fabrik eines Kibbuz nicht nur vom gesamtwirtschaftlichen Geschehen des Kibbuz beeinflusst wird, sondern auch von den Entscheidungen des Kibbuzdachverbandes. Die Kibbuzim haben zum Zweck der verbesserten Industrialisierung 1963 einen Dachverband, Kibbuz Industry Association (KIA) für alle Kibbuzindustrien gegründet. Dieser Verband gewährt der einzelnen Fabrik Unterstützung vielfältiger Art: Von Information und Fachberatung beim Aufbau einer Fabrik über Koordinierungsdienst beim Export bis hin zu finanzieller Förderung für bestimmte zukunftsorientierte Projekte. Der K.I.A. fördert besonders die soziotechnische Komponente des Fabrikmanagements.