Einladung zum Couscous-Essen
Schwarzarbeit und Wohnen in leerstehenden Häuser
Illegale Einwanderer aus dem Maghreb – Mitleid oder Abschiebung?
Bevor es jedoch zu pathetisch wird, wechsle ich lieber schnell die Themenebene.
Hatte ich zu Beginn strikt die Regeln als Mitarbeiter meiner Stelle verfolgt – keine zu enge Bindung zu den „accueillis", um gegenüber allen möglichst gerecht bleiben zu können und niemanden das Gefühl zu geben, benachteiligt zu werden -, so merkte ich bald, dass dies schier unmöglich ist, wenn man nicht eine gefühllose Maschine sein will, die stur nach festgelegten Regeln und Vorschriften handelt und sich nicht für individuelle Schicksale interessiert.
Es ist doch nur menschlich, gegenüber den einen Sympathie, und gegenüber den anderen eher Gleichgültigkeit oder sogar Antipathie zu empfinden.
Es existiert wohl niemand, der sich - und wenn auch nur unbewusst - von ihnen nicht beeinflussen ließe.
So kam es dazu, dass ich einer Einladung junger Maghrebiner folgte, die mich zum Couscous-Essen in ihrem „squat" (engl. „hocken") eingeladen hatten.
Zur Erläuterung: damit beschreibt man eine häufig anzutreffende Notlösung der Obdachlosen; leerstehende Häuser - solche existieren hier zuhauf – werden von ihnen in Beschlag genommen und als Unterkunft genutzt.
Meist ohne Strom und Wasser, also nicht sonderlich luxuriös und teilweise hart umkämpft unter den Obdachlosen ist solch eine Bleibe jedoch immer noch ein weitaus besserer Schutz als die Straße.
Doch zurück zur Einladung. Ich verabredete mich also für den Abend mit einem der Nordafrikaner, wir trafen uns, erledigten gemeinsam die Einkäufe fürs Essen und wanderten anschließend in Richtung ihres „squats".
Den Eingang bildete ein Loch in der zugemauerten Tür, im Innern schlug mir sogleich eine feuchtkalte Luft in einem dunklen Gang entgegen.
Einem schnellem Blick in das "Schlafzimmer" – Matratzen auf dem Boden – folgte die freudige Begrüßung durch drei weitere Maghrebiner, die mich anscheinend erwartet hatten und die ich ebenfalls von „Paola" her kannte.
Das "Esszimmer" verfügte über eine winzige, spärliches Licht spendende Glühbirne, eine Art Gasherd mit vier Platten, eine verwitterte Kommode, einen Plastiktisch, der mit Zeitungen bedeckt war und über vollgeschmierte Wände, an denen sich die vorherigen Bewohner in Form von Hasstiraden auf den französischen Staat und die Gesellschaft verewigt hatten.
Einerseits empfand ich eine gewisse Scham, so unvermittelt in die Armut und Misere dieser Menschen einzutreten und war erschreckt über ihre Lebensumstände, die sich mir hier so deutlich zeigten, andererseits sagte ich mir, dass eine Begegnung unter diesen Umständen die einzige Möglichkeit bildet, diese Menschen, ihren Charakter, ihren kulturellen Hintergrund, ihre Ängste, kurz ihr Leben wirklich kennen und verstehen zu lernen.
Das traditionelle Couscousgericht schmeckte sehr, sehr lecker – auch wenn es nicht ausreichend Besteck und Geschirr gab, es allerorten an Hygiene mangelte und man sich eine leere Kichererbsendose als Becher teilte.
Ich führte ehrliche und traurige Gespräche mit meinen Gastgebern und zum Abschluss wurde mit einfachsten Mitteln musiziert und gesungen.
Wir trommelten mit Besteck auf Töpfen und dem Tisch, und ich machte die Bekanntschaft mit arabischen Melodien und Liedern.
Ereignisse wie diese vereinfachen meine moralischen Überlegungen in Bezug auf die Einwanderer natürlich auch nicht unbedingt:
Ist es gerechtfertigt, dass diese oft hochmotiviert Arbeit suchenden Einwanderer kein normales Leben führen können, da sie illegal eingewandert sind und infolgedessen nur schwarz arbeiten können, dabei meist ausgenutzt werden und ein Leben am Existenzminimum führen müssen?
Ferner, wenn sie ständig unter der Angst abgeschoben zu werden stehen und unter der Trennung von ihrer Familie, ihrem Heimatland, in das sie meist auch nicht mehr zurück können, leiden?
Natürlich könnte man sich einfach hinstellen und sagen: Nun gut, das ist alles einsichtig und traurig, aber sie haben nun einmal einen ersten Schritt getan, durch den die Grenze der Legalität überschritten wurde und haben deshalb jedes Recht auf Hilfe oder Anerkennung ihrer Situation, ihres Dilemmas verwirkt.
Doch ist dies die Lösung dieses Problems? Wohl kaum.
Ich jedenfalls bin wieder zu einem gemeinsamen Abend eingeladen.
R. Auer
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