Fünf Wochen im Kibbuz »Ramat Rahel«
Arbeitsaufenthalt in einem Kibbuz bei Jerusalem
In der ZEIT hatte ich das Angebot einer Jugendreisegesellschaft entdeckt, die einen fünfwöchigen Arbeitsaufenthalt im Kibbuz anbot. Wir reisten also als eine Gruppe von acht jungen Leuten mit einem Begleiter los und ich bin heute heilfroh, nicht allein gefahren zu sein. Im Nachhinein kann ich mir kaum vorstellen, daß ich mich allein im Kibbuz zurecht gefunden hätte. Wir waren im Kibbuz Ramat Rahel, etwa 5 km südlich der Altstadt Jerusalems. Der Kibbuz wurde Mitte der zwanziger Jahre gegründet, gehört also zu den frühen Gründungen und hat heute etwa vierhundert Einwohner. Gut vierzig Jahre lang galt der Kibbuz aufgrund seiner exponierten Lage als Verteidigungsvorposten für Jerusalem. Interessant war es, älteren Bewohnern zuzuhören, die die Anfänge des Kibbuzes und die Staatsgründung hautnah miterlebt hatten. Organisatorische Schwierigkeiten hat es nicht gegeben, die Planung und Buchung der Reise erfolgte über die Gesellschaft Intercontact.
Unterkunft: unbefriedigend
Mit der Unterkunft war ich nicht so zufrieden - im ganzen von -zig Volontären ziemlich abgewohnt, um nicht zu sagen gammelig. Wären wir länger geblieben, so hätten wir uns sicherlich an die Renovierung gemacht. Da ich 1,90 m groß bin, hatte ich mir vorsichtshalber meine Arbeitskleidung mitgebracht. Leider lief mit dem Wäschedienst immer was schief. Wenn jemand seine Sachen zur Wäscherei gab, kamen sie nicht zurück, mit der Bettwäsche lief es ebenso. Da mir die Monteurkleidung des Kibbuzes nicht paßte, war ich häufig lange damit beschäftigt, meine Sachen aus verschiedenen Wäschestapeln herauszufischen. Dagegen war die Verpflegung gut und reichlich. Da ich gern vegetarisch esse, hat mich besonders das reichhaltige Rohkostangebot der Gemeinschaftsküche begeistert.
In der ersten Woche war ich an verschiedenen Arbeitsplätzen eingesetzt. Angefangen habe ich mit dem Fangen und Verladen von Masthühnchen auf der Hühnerfarm, dann kam ich in die Wäscherei zum Sortieren der Schmutzwäsche und an die Maschinen. Später steckte ich im Obstshop Kartons zusammen. Nach einer Woche wurde unsere ganze Truppe zur eigentlichen Arbeitsaufgabe eingesetzt; drei Wochen lang ging es Tag für Tag in die Apfelplantage zum Pflücken, wobei wir leider fast immer eine geschlossene Brigade bildeten. Die manchmal anstrengende Erntearbeit hat mir trotz Muskelkaters und der großen Hitze doch gefallen, zumal ich bei der Anmeldung auch schon mit einer solchen Tätigkeit gerechnet hatte.
Der Kontakt zu anderen Volontären war sehr leicht herzustellen - immer war was in der Bar oder im Clubhaus los. Zu den Israelis mußten wir aber ganz gezielt Kontakt suchen - ich glaube, es gab irgendwie eine grundsätzliche Distanz zu uns Volontären.
Ich habe aber auch erlebt, daß Kibbuzbewohner Leute aus unserer Gruppe spontan zu sich nach Hause eingeladen haben. Ebenfalls gut gefallen hat mir ein Ausflug mit dem Verbindungsmann der Volontäre nach Tel Aviv. Er stellte sich als ausgezeichneter, geduldiger Stadtführer heraus, und ich habe viele Ecken der Stadt gesehen, die Touristen wenig bekannt sind. Wir schreiben uns heute noch regelmäßig. Vielleicht wird er mich in einem halben Jahr für zwei Wochen besuchen können.
Ansonsten bestanden die besten Kontaktmöglichkeiten noch zu den in der Plantage mitarbeitenden Kibbuzniks.
Schön, aber genug!
Da die Arbeit in der Plantage morgens um fünf begann, endete der Arbeitsteil des Tages am Mittag. So stand uns nach dem Mittagessen der ganze Nachmittag zur Verfügung. Für die Erschöpfteren hieß das Ruhe und Schlaf, für mich allerdings die Erkundung Jerusalems. Die Nähe der Stadt war der wichtigste Pluspunkt des Kibbuzes - für andere historisch, kulturell und religiös Interessierte vermutlich ebenso.
Selbst würde ich nicht noch mal als Freiwilliger in einen Kibbuz gehen, weil ich glaube, Israel nun durch meinen Kibbuzaufenthalt genügend kennengelernt zu haben. Sollte ich nach meiner Lehre allerdings keine Stelle kriegen, so würde ich für mindestens ein halbes Jahr eine Job als Volontär annehmen - dieses Mal aber möglichst in einem Kibbuz am See Genezareth oder auch am Toten Meer. Jedem, der die Gelegenheit hat und noch nie in Israel war, würde ich unbedingt zu einem Arbeitsaufenthalt raten. Allerdings sollte man sich vielleicht doch besser als ich durch Literatur vorbereiten - bei Diskussionen habe ich immer wieder feststellen müssen, daß ich einfach zu wenig über Israel und seine Geschichte wußte.
Hartmut Senfft