»Die drei Quellen«
Vier Wochen im Kibbuz »Ein Hashlosha«
Zu viel zu tun
Ich verbrachte einen Monat im Kibbuz Ein Hashlosha (»Die drei Quellen«) in der Nähe von Beer Sheva. Der Kibbuz wurde Anfang der sechziger Jahre gegründet, hat etwa zweihundert Einwohner mit fast dauernd fünfzig Volontären.
Für das leibliche Wohl war in diesem Kibbuz hervorragend gesorgt, sowohl was die Auswahl als auch Qualität und Menge der Speisen betraf. Geschlafen haben wir meist zu viert in den ältesten Häusern am Rand des Kibbuz. Wer länger als die Durchschnittszeit (ca. sechs Wochen) blieb, konnte mit einer besseren Unterkunft rechnen. Mich interessierte vor allem jede Form gemeinschaftlichen Zusammenlebens und Arbeitens. Beeindruckt hat mich besonders die gemeinschaftliche Kindererziehung und die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen. Ich kann sagen, dass ich bisher noch nie Menschen getroffen haben, die so frei und offen miteinander umgingen wie im Kibbuz. Wir kamen als Gruppe mit siebzehn Personen über die Nothelfergemeinschaft nach Israel und hatten durch Selbststudium und ein dreitägiges Seminar unseren Aufenthalt gründlich vorbereitet. Während andere Gruppenmitglieder meist in den Plantagen arbeiteten, wurde ich hauptsächlich zu Reparaturdiensten und Wartungsarbeiten eingesetzt. Das Verhältnis zu den anderen Volontären war sehr gut, zu den Kibbuzniks im allgemeinen eher mäßig. Den Grund dafür sehe ich in dem andauernden Wechsel der Volontäre und darin, dass häufig Gruppen anreisen und unter sich bleiben, statt aktiv als Gruppe oder auch aus eigener individueller Initiative Anschluss zu suchen. Eine andere Barriere bildete die Verständigung: die meisten Kibbuzniks kamen aus Südamerika und sprachen nur Spanisch und Hebräisch.
Vorbehalte gegenüber deutschen Volontären habe ich in meinem Kibbuz nicht erlebt. Allerdings habe ich zusammen mit meiner Gruppe noch einen anderen Kibbuz unweit der libanesischen Grenze besucht, in der Nähe von Quryat Shemona, und bin dort auch auf Ressentiments gestoßen - erstaunlicherweise aber bei den jüngeren Israelis, die in diesem Kibbuz aus Nord- und Osteuropa stammten. Positiv beeindruckt hat mich vor allem die Kindererziehung - nirgendwo bisher bin ich derartig gut ausgebildeten und geschickten Erziehern begegnet. Die Tatsache, dass die Volontäre teilweise von den Kibbuzniks nur als billige Arbeitskräfte gesehen wurden, war in unserem Falle eine unangenehme Erfahrung. Deutlich wurde dies, als am Ende einer Meinungsverschiedenheit die Bemerkung fiel: »Bitte, dort ist das Tor - wenn ihr geht, dann rufen wir in Tel Aviv an und haben übermorgen neue Leute hier.«
Enttäuscht hat mich auch, dass viele Aspekte - nicht alle - des kollektiven Grundgedankens in der heutigen Realität keinen Bestand mehr haben. Das Verhältnis von Arbeit und Freizeit war für mich nicht befriedigend, da ich sechs Tage pro Woche arbeiten musste und nur einen Tag frei hatte. Aus diesem Grund blieb ich dann auch nur vier statt sechs Wochen im Kibbuz, um dann noch vier weitere Wochen auf eigene Faust das Land zu bereisen. Aus heutiger Sicht würde ich nicht noch einmal nach Israel gehen und dort in einem Kibbuz arbeiten - hauptsächlich, weil ich nicht mit der gegenwärtigen israelischen Siedlungspolitik einverstanden bin. Allerdings würden mich andere Kibbuzim interessieren und ich würde gern weitere als Gast kennenlernen und Israel ausgiebiger bereisen wollen.
Jenne Seidel