Der große Tag
Freitag war der große Tag, die erste Aufführung. Wir trafen uns einige Stunden früher im Turtle Key Arts Centre, um einiges noch mal durchzugehen was wir am Vortag nicht mehr geschafft hatten.
Je später es wurde, desto aufgeregter wurden alle. Nachdem wir noch einige Lockerungsübungen auf der Bühne gemacht hatten war es bald soweit, wir schafften alle Kostüme und Requisiten in die Gaderobe. Die Garderobe war sehr klein. Dieser ohnehin schon winzige Raum war noch mal unterteilt, eine Hälfte war das Büro, in der anderen stand ein Schminktisch für ca. vier Personen. Das war´s dann auch schon. Dieser Raum war nun die Garderobe für 30 Akteure plus sämtlicher Kostüme, Taschen und Requisiten, und in der Bürohälfte waren die beiden Angestellten des Theaters. Schließlich kamen die ersten Zuschauer, wir konnten die Gaderobe jetzt nicht mehr verlassen, zumindest nicht, bis alle Zuschauer saßen. Es sollte uns ja vorher keiner im Kostüm sehen, das hätte alles zerstörrt. Der Eingang für die Zuschauer führte über die Bühne, und es war auch gleichzeitig der Eingang für uns Darsteller. Die "Street" Leute zogen sich um, und konnten als alle Zuschauer drin waren, raus auf den Flur. Jetzt ging es los!
Bonbons für mehr Energie
Diese Garderobe werde ich, wie den Auftritt, bestimmt nie vergessen. In diesem winzigen engen Raum mit der stickigen Luft, in dem man nur flüstern durfte, da die Zuschauer sonst wegen der dünnen Wände alles gehört hätten, war so viel Energie, Spannung und Aufregung. In Gedanken waren wir alles bei unseren Stücken, gingen noch einmal alles durch oder sahen uns im Spiegel an ob diese oder jene Bewegung gut war. Desmond brachte uns vor Beginn der Show, eine große Dose mit Bonbons und eine Karte auf der stand: "This is to keep the engergy up". Die Süßigkeiten sollten die Energie oben halten, das war aber gar nicht nötig. Die Energie war höher als jemals zuvor. Ich war so aufgeregt, aber gleichzeitig hatte ich auch Angst und war nervös und zitterig, die Energie war trozdem da, und es war so heiß und stickig in diesem Raum. Diese Aufregung und das Zusammengehörigkeitsgefühl an diesem Abend kann man gar nicht beschreiben.
Als dritte Gruppe kamen Anna, Rachael und ich dran. Richard, unter anderem Stage Manager, winkte uns im Flüsterton auf den Flur raus, dort durfte man nicht mal mehr flüstern. Wir warteten neben der Tür. Anna war noch nervöser als ich. Rachel´s erste Aufregung hatte sich schon gelegt, da sie im Eröffnungsstück schon mitgewirkt hatte. Von meinem Platz hinter der Tür konnte ich den Rest von Tory und Georgia´s Stück "Gentlemen prefer" sehen. Die fünf Minuten die dieses Stück dauerte kamen mir wie eine Ewigkeit vor, dann der Applaus, das Licht ging aus, Georgia und Tory kamen raus. "Viel Glück" rief Tory im vorbei-laufen.
”War es gut?”
Im Dunklen betraten wir die Bühne, wie wir es schon ein dutzend Mal geprobt hatten. Ich war nervös und konnte meinen eigenen Herzschlag hören, obwohl es ein kurzes Stück und meine Rolle klein war.
Das Licht ging an. Ich konnte durch die Augenschlitze der harten weißen Maske und das Gegenlicht von der Decke nicht viel sehen. Ich versuchte die Gesichter im Publikum zu erkennen, aber das war unmöglich, alles war verschwommen durch das grelle Licht. Ich durfte mich nicht bewegen und mußte mich auf meinen Einsatz konzentrieren.
Dann war schon alles vorbei. Wieder ging das Licht aus, gefolgt vom Applaus verließen wir die Bühne, im dunkelen wie wir gekommen waren. Zurück blieb nur die Frage: War es gut?
An der Tür warteten Jack und Emile auf ihren Auftritt. Wieder in der Garderobe wurden wir im Flüsterton gefragt, wie es war und wie das Publikum war. Ich war nicht sehr zufrieden mit mit, Anna meinte auch es hatte besser laufen können.
Die erste Nervosität war weg. "Work Ethic" war erst nach der Pause dran. Wenn es in der Mini-Garderobe nicht mehr auszuhalten war, ging ich auf den Flur und guckte ein bißchen zu.
Für "Work Ethic" waren wir alle schwarz gekleidet und barfuß. Tony unser "Regisseur" sah sich alles vom Flur aus an. Es war schon ein Erfolg, daß wir nicht wie bei denn Proben zusam-mengestoßen sind, sonst war alles chaotisch wie immer.
Die Show war nun fast zu Ende. "Houdini" war das letzte Stück, bei dem alle Darsteller auf die Bühne kamen, um Houdini anzufeuern. Für das Finale stellten wir uns alle in einer Reihe auf, von der Kleinsten bis zum Größten, und das im Dunkeln, aber es klappte perfekt.
Am Samstag, dem zweiten und letzten Tag, klappte alles noch ein bißchen besser, wie bei einem gut eingespielten Team. Nach dem Finale bekamen wir einen Riesenapplaus, so daß wir alle noch mal auf die Bühne mußten, das war ein unbeschreilich tolles Gefühl.
Bei der anschließenden Feier im Pub ging es locker und lustig zu. Die Freude über den Erfolg und auch ein bißchen die Erleichterung, daß jetzt der "Druck" vorbei war, denke ich. Bei der guten Stimmung wurden wir mit Lob überschüttet. Als es zu später Stunde in dem Pub leerer wurde, fingen wir an zu tanzen zur Musik von Mundharmonika und Ukulele. Wir hatten großen Spaß. Unsere Cast-Party dauerte bis ungefähr zwei Uhr, bis der Pub seine Pforten schloß.
Der Term war nach der Show noch nicht ganz vorbei. Wir hatten noch eine Woche Unterricht. Gleich am Montag sprach Desmond mit uns über die Show. Er war an beiden Tagen gekommen, und hatte sich die Aufführung zwei Mal angesehen. Am Freitag sagte er wären wir nur guter Durchschnitt gewesen, aber am Samstag waren wir überdurchschnittlich gut.
Er ging aber noch auf jedes einzelne Stück ein, und kritisierte oder lobte uns. Das Tony sich Freiwillige aus dem Publikum holte, hat er scharf kritisiert und Work Ethic fand er zu schwach.
Außer diesem Gemeinschaftsgespräch, führte er in den letzten Wochen noch mit jedem einzelnen ein Gespräch in seinem Büro.
Zu diesem Gespräch muß ich sagen, daß zwar auch über Stärken und Schwächen gesprochen wird, aber Desmond will seine Schüler überzeugen, die nächsten drei Terms auch noch zu besuchen. Er verdient schließlich sein Geld damit. Man merkt aber selbst, ich habe es zumindest gemerkt, was man falsch macht. Ich wußte schon, daß ich im ersten Term fürchterlich war. Es hat mir zwar großen Spaß gemacht, aber meine Illusionen waren undeutlich, und wo es auf körperliche Stärke ankam, war ich zu schwach und im allgemeinen war ich viel zu unsicher. Das hat Desmond mir so niemals gesagt und das fand ich sehr schade. Im zweiten Term habe ich mich sehr verbessert, obwohl ein bißchen von der Unsicherheit ist geblieben und so wird es wohl immer sein.