Epilepsie

Erfahrungsbericht einer FSJlerin

Sozialarbeit mit epilepsiekranken Menschen

Betreuung einer Wohngruppe

Nach meinem Abi konnte ich mir nicht vorstellen, direkt weiter zu lernen, wieder irgendwo zuzuhören, mitzuschreiben, Wissen anzueignen...
Ich sehnte mich danach, etwas Praktisches zu tun, wollte mich aber noch nicht auf einen bestimmten Beruf festlegen. Etwas Kreatives? Etwas, mit den Händen? Etwas mit Menschen? Das alles am liebsten auch in einer anderen Stadt; ich hatte schließlich schon zwanzig Jahre ununterbrochen in Wiesbaden gelebt.
Auch erschien es mir ungerecht (und das finde ich jetzt auch noch!), dass die Jungens Zivildienst leisten mussten, die Mädchen dagegen völlig ohne Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber sind. So entschied ich mich für ein „Soziales Jahr".

Es ergab sich eine Bekanntschaft mit einer Diakonisse aus Süddeutschland, die viele Jahre dort die „Korker" Anstalten geleitet hat.
Kork ist ein kleines Dorf im Badischen, unweit vom Grenzübergang Kehl-Straßburg. Man kann es als die kleine Schwester von „Bethel" bezeichnen.
Es ist ein Zentrum für epilepsiekranke Menschen. Neben einer Klinik, die auf Anfallsleiden spezialisiert ist, gibt es dort auch eine Sonderschule und Wohngruppen aller Altersstufen für geistig Behinderte, sowie Werkstätten für Behinderte. Sozusagen ein Dorf im Dorf.

Ich hatte große Lust, dort für ein Jahr zu leben. Es wurde eine sehr wichtige, schöne, intensive Zeit für mich.
Ich arbeitete als Betreuerin in einer Wohngruppe mit zwölf Kindern, die zusätzlich zu ihren Anfallsleiden noch verschieden stark geistig behindert waren.
Das war anfangs natürlich ungewohnt für mich: So viel Verantwortung zu übernehmen und sich so sehr in den Schichtdienst einzuordnen; ein Riesenunterschied zur Schulzeit.
Mit der Zeit wurden mir die Kollegen vertraut und die Kinder gewann ich lieb. Einige wuchsen mir richtig ans Herz, ich habe mich gefreut, zu ihnen zu gehen. Und noch Jahre später hab ich sie gelegentlich „uff de Grupp" besucht.

Gleichzeitig mit mir begannen noch vier andere „diakonische Helfer" ihre Tätigkeit. Gemeinsam fuhren wir auf Fortbildungen und Seminare.
In den verschiedenen Workshops haben wir viel - auch über uns selbst - gelernt, außerdem konnten wir uns mit anderen austauschen und ich erinnere mich gern daran, wie viel es immer zu lachen gab.

Ich konnte auf dem Anstaltsgelände kostenlos wohnen, die Krankenversicherung wurde gezahlt, zusätzlich erhielt ich ein Taschengeld von damals 400 DM, das erschien mir als angemessen. Ich war stolz, zum ersten Mal von meinem eigenen Geld leben zu können.
Irgendwie reichte es immer, auch für verschiedene Reisen und Ausflügen an freien Wochenenden etc. mit meinen neuen Freunden.

Ich fand es wunderbar, zum ersten Mal in einer WG zu leben, sich ganz allein in einer noch unbekannten Gegend zu behaupten.
Es war ganz einfach, neue Bekanntschaften zu schließen: Es gab so viele Leute in meiner Altersgruppe dort und es haben sich Freundschaften entwickelt, von denen zwei noch heute existieren und wohl gute Chancen haben, noch mal zwanzig Jahre zu überdauern ...

Gelegentlich hörte ich die Bemerkung, dass ich mit so einem Jahr, in dem ich ja praktisch nichts verdienen würde, „viel Zeit" verlöre. Welche Zeit ging mir verloren? Meine Lebenszeit? Zeit, um viel Geld zu verdienen, eine Berufsausbildung zu beginnen? Wie lange dauert ein Jahr?
Tatsächlich empfinde ich es nach wie vor so, dass ich ausschließlich von meinem FSJ profitiert habe: Ich habe vor allem etwas gewonnen, was man an keiner Uni der Welt lernen kann: Lebenserfahrung.
Ich habe viele, ganz verschiedene Menschen kennen gelernt und mich mit ihnen auseinandergesetzt. Die Erfahrungen von damals haben sich als hilfreich für mein ganzes weiteres Berufsleben -und Privatleben herausgestellt.

Beim Umgang mit den "Behinderten" legte sich meine anfängliche Unsicherheit und ließ mich bei Verhaltensabweichungen von späteren Patienten(kindern) gelassener werden. Das FSJ half mir auch bei der Berufswahl, deren Ziel direkt nach dem Abi bei mir noch völlig im Dunkeln lag.
Nicht zuletzt hatte ich Einzelkind auch durch die Erfahrung in einer Gruppe mit 12 Kindern zu sein ganz Praktisch-Organisatorisches gelernt.
So waren für mich als Mutter früher die Kindergeburtstage mit dem verbundenen Lärm und Gewusel vielleicht weniger aufreibend als für Eltern, die bis dahin noch überhaupt keine Erfahrungen mit Kindergruppen hatten ...
Inzwischen bin ich Logopädin, Yogalehrerin und habe drei Kinder.
S. Ott

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