Aktivitäten in der Freizeit
Viele Freiwillige gehen mit schlechtem Beispiel voran
Bei Gelegenheit treffe ich mich abends mit einer deutsch-östereichischen Freiwilligengruppe, um in einem der Cafés eine „chicha“ zu trinken und dabei Erfahrungen über den Freiwilligendienst auszutauschen. Leider unternehmen viele Integranten dieser Gruppe am Wochenende ausufernde Trinktouren und haben sich zum Teil einen recht üblen Ruf erworben. Während einige wenige Einheimische schmunzelnd von der deutsch-östereichischen Trinkkapazität schwärmen, trifft man bei den meisten Menschen auf Verachtung: Zwar zählt exzessiver Alkoholgenuss und Alkoholsucht zu den Hauptproblemen der Chiquitania, andererseits gibt es aber viele Initiativen, um den Alkoholkonsum auf Dauer zu kontrollieren und so auch vielen sozialen Problemen (Gewaltanwendung in den Familien, Armut ...) Abhilfe zu verschaffen. Gerade von Freiwilligen, die ja kommen, um zu helfen, erwarten die Menschen ein anderes Verhalten; es erscheint ihnen seltsam, dass Fremde sich in einem Gastland offensichtlich den vorherrschenden Missständen anpassen, anstatt zumindest mit dem eigenen Verhalten Veränderungen zu unterstützen. Ich konnte ein gewisses Schamgefühl nicht unterdrücken, als ich deutsche Freiwillige sturzbetrunken habe herumtorkeln sehen, zumal die Menschen hier das Verhalten eines Einzelnen verständlicherweise mit dem Verhalten sämtlicher Freiwilligen assoziieren.
Ich versuche, lieber Kontakte zu den Einheimischen zu knüpfen. Die Menschen San Ignacios sind sehr freundlich, offen und herzlich: Nicht selten laden mich meine Schüler oder ihre Eltern auf ein „refresco“ (Erfrischungsgetränk) in ihre Häuser ein, beim Bäcker zwei Häuserblöcke weiter bekomme ich von Don Julio regelmäßig Teilchen geschenkt, auf dem Markt begrüßen mich die Verkäuferinnen an einigen Ständen mit „Hola, Barbarita“ (Hallo, Barbaralein) und meine Schüler rufen mir auf der Straße ein langgezogenes „proooofeeee“ (Lehrerin) zu. Egal wann und wohin man sich begibt, immer trifft man jemanden und die Höflichkeit gebietet es dann, zumindest ein paar Worte über das Wetter zu wechseln.
Ab und zu bekomme ich auch die negativen Seiten des Dorflebens zu spüren, wenn mir auf dem Markt „choca“ oder „gringa“ (recht abwertende Namen für Blondhaarige) hinterhergerufen wird; ebenso musste ich lernen, Pfeifkonzerte und Zurufe wie „Hola, mi amor“ (Hallo mein Schatz) oder „esta noche“ (wir sehen uns heute Nacht) zu ignorieren. Manchmal werde ich auch mit dem einzigen Motiv angesprochen oder eingeladen, die reiche „gringa“ um einen „favor“(Gefallen), das heißt in der Regel um Geld oder kostenlosen Sprachunterricht zu bitten. Oftmals sind die Menschen wirklich bedürftig und es fällt mir dann schwer, ihnen diese Bitten abzuschlagen, um so den berühmten Tropfen auf den heißen Stein und damit kurzfristige und ineffiziente Hilfe zu vermeiden, die ich ohnehin nur einigen wenigen Menschen zukommen lassen kann.
Bekanntschaften mit Einheimischen
Inzwischen habe ich genügend Bekanntschaften geknüpft, um nachmittags mal spontan ins Schwimmbad oder am Wochenende in eine der zahlreichen Karaokebars (Hauptbeschäftigung vieler Jugendlicher, leider wird auch hier meistens viel getrunken) zu gehen. Da die meisten Familien kein Telefon besitzen, verabredet man sich nicht großartig, sondern dreht eine Runde durchs Dorf und fragt nach, wer mitkommen möchte. Auch hier gilt es, ein wenig Vorsicht walten zu lassen, da sich in einem Dorf blitzartig Legenden über persönliche Bekanntschaften der Freiwilligen verbreiten. Ich musste schon zwei Mal dementieren, dass ich bald heiraten werde und das Gerücht, ich sei ebenfalls eine „hermana“ (Schwester), lässt sich schon kaum mehr ausmerzen. Für die Menschen bin ich automatisch eine Missionarin, da ich ja ganz offensichtlich an einem Teil ihrer Aktivitäten teilnehme.
Letztendlich fallen diese Dinge aber alle in den Rahmen des Erträglichen und sind bisweilen sogar recht amüsant. Fremde sorgen einfach für Neugierde und bieten spannenden Gesprächsstoff, und es ist nur allzu angebracht, dass man das persönliche Verhalten dieser Tatsache ein wenig anpasst.