Bolivianischer Karneval

Karneval in Bolivien

Sitten und Gebräuche während der 5ten Jahreszeit

Heiße Musik, frische Farbe und faule Eier für die „Pariente“

Nun bleibt noch ein Höhepunkt im Alltagstrott zu erwähnen: Am Samstag, den 21. Februar startete der viertägige „carnaval“ (Karneval), der in vielen Orten Boliviens mit umfangreichen Traditionen (Tänze, Kostüme) gefeiert wird. Im Fernsehen konnten wir zum Beispiel den weltbekannten „Carnaval de Oruro“ (Karneval von Oruro) verfolgen, der zu Ehre der „Virgen de Socabón“ (Jungfrau von Socabón) gehalten wird. Hier in der Stadt beginnen die Menschen bereits am Samstag grüppchenweise mit Verkleidungen und Instrumenten auf den Straßen umherzuziehen und Lieder zu singen, ausgestattet mit Wasser- und Schaumpistolen, um sämtliche Passanten nass zu spritzen. Am Samstag Nachmittag findet dann der erste große Umzug statt, im Rahmen dessen verschiedene, uniform verkleidete Gruppen, die sogenannten „comparses“, zur Musik der mitmarschierenden Kapellen durch die Straßen tanzen. Oft treten die Bewohner eines Viertels als „comparses“ auf, aber auch Sportvereine, Tanzgruppen oder Geschäfte, und der Unterschied zwischen dem zur Verfügung stehenden Geld der einzelnen Gruppen wird recht deutlich. Eines der ärmsten Viertel des Dorfes hatte zum Beispiel mit viel Kreativität einen Pappdrachen gebastelt; die „High Society“ präsentiere hingegen einen eigens hergerichteten Wagen im Stil von „Aladin und die Wunderlampe“, auf der eine „reina del carnaval“ (Karnevalskönigin, Siegerin des intern durchgeführten Schönheitswettbewerbs) in goldenem Sessel thronte und sich mit Palmenzweigen Luft zufächeln ließ, im Hintergrund eine Riesenwunderlampe mit Glitzermuster, die rosafarbene Rauchwölkchen ausstieß.
Auch die Freiwilligen der Stadt (immer so zwischen 10 und 15 aus aller Herren Länder) hatten sich ein T-Shirt in den Farben der bolivianischen Flagge anfertigen lassen mit der Aufschrift „Los Parientes, pues“ (Die Verwandten, man!) nach dem Motto : „Wir sind weder „gringos“ (abwertende Bezeichnung für US-Amerikaner, die aber bisweilen auch für Europäer benutzt wird) noch „Bolivianos“ (Bolivianer) oder „cambas“ (die Bewohner des bolivianischen Ostens), wir sind einfach nur „parrientes“ (Verwandte), da das Leben in der Stadt die meisten Freiwilligen sehr zusammen schmiedet. Auch ich besitze ein solches Prachtstück, hatte aber bereits am zweiten Karnevalsstag die Lust verloren, es zu tragen. Einige Freiwillige nutzten nämlich die Gunst der Stunde aus, um vier Tage lang besoffen in „Pariente“- Outfit durch die Straßen zu ziehen und für die peinlichsten Gerüchte und Anekdoten zu sorgen; auch wenn dies nur einige waren, so färbt der Ruf leider auf die ganze Gruppe ab.

Während man sich Samstags nur mit Wasser bespritzt, ist am Sonntag der Gebrauch von (nicht auswaschbarer) Farbe erlaubt, am Montag werden faule Eier geworfen und dienstags ist dann von Wasser bis Toiletteninhalten (davon bin ich glücklicherweise verschont geblieben) alles erlaubt. Bei den Kindern ist vor allem die „Jagd“ auf ihre Lehrer beliebt, so dass ich in diesen Tagen ohne Wasser- und Farbspritzer auf der Kleidung und in den Haaren kaum aus dem Haus gehen konnte; zumal ich als „gringa“ in dieser Beziehung sowieso erhöhte Aufmerksamkeit genoss und hinter meinem Fahrrad manchmal ganze Menschentrauben herrannten, um eine freie Stelle auf meinem T-Shirt zu erhaschen.
Am Sonntag haben die Lehrer mit einem gemeinsamen „churrasco“ (Fleisch mit Reis und Yuka) und anschließendem Tanzen im Haus einer Lehrerin gefeiert – natürlich mit traditionellem Nass-Spritzen, so dass wir hinterher alle bis auf die Haut durchnässt über den Hof getanzt sind. Ich bin barfuss nach Hause gelaufen, da meine Schuhe völlig aufgeweicht und durchnässt waren. Die Straßen der Stadt wirkten an diesen Tagen wie ausgestorben (man sollte sich davon jedoch nicht täuschen lassen, da die gefüllten Wasser- und Farbeimer hinter jeder Ecke bereit stehen und in sekundenschnelle über ahnungslosen Passanten entleert werden), aber in den meisten Häusern wird bis spät in die Nacht getanzt und gegessen, und leider auch viel getrunken. Das einerseits sehr fröhliche und lebendige Karnevalstreiben zeigt dann spätestens am Dienstag seine negative Seite; ich habe mich an diesem Tag für einen kurzen Spaziergang aus dem Haus gewagt, und bin ohne Übertreibung nur auf Besoffene getroffen, die durch die Straßen taumelten. Der Karneval ist für viele Menschen Anlass zu exzessivem Alkoholgenuss, den sie sich im Rest des Jahres weder geldlich noch moralisch erlauben können. So hat dieses traditionelle Volksfest seine schönen und weniger angenehmen Seiten.

Hier gibt´s Näheres zu Freiwilligendiensten.

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