Wohltätigkeitsaktion in Bolivien

Außergewöhnliche Spendenaktion auf dem Land

Armut der Landbevölkerung

In Santa Rosita erwartete man uns bereits auf der zentralen „plaza“, einem Rasenstück in der Größe eines Fußballfeldes, in dessen Mitte die Dorfkappelle und ein großer schattenspendender „Toborotchi“ (typischer Baum mit ausladender Krone und kegelförmigem Stamm) steht. Um die „plaza“ gruppieren sich kreisförmig die Grundstücke der Familien, die mit Holzzäunen untertrennt sind und jedes eine Wohnhütte, eventuell einen Vorratsschuppen und etwas abgelegener ein kleines Toilettenhäuschen (kleine Hütte mit kreisrunder Grube, deren Grund regelmäßig mit Sand oder Erde bedeckt wird) besitzen. Auf diesen Parzellen spielt sich das gesamte Familienleben ab: Buntgemischt wandern Haustiere (Schafe, Esel, Hühner, Hunde, Katzen und Schweine) zwischen aus Holz gezimmerten Wäscheständern und als Kochgelegenheit dienende Steinhaufen herum (manchmal mit Palmenzweigen überdacht); in großen Aluminiumtöpfen werden hier auf einem Holzfeuer „churrasco“ (gekochtes Schweinefleisch) und als Beilage Reis, Yuka, Bananen oder „choclo“ (Mais) gekocht, oder auch „locro“ (Eintopf mit Reis, Yuka und Fleisch); besitzt die Familie einen der typischen Rundöfen, so werden zusätzlich noch Brot und „tamales de choclo“ (Maisfladen) hergestellt. Die rechteckigen, fensterlosen Hütten der Dorfbewohner sind aus Zweigen und Ästen gebaut, die Zwischenräume mit Lehm gefüllt und das Regen undurchlässige Dach wird aus Palmenzweigen und Stroh gefertigt. Im Inneren befinden sich Schlafgelegenheiten (wenige Familien besitzen ein Bett für die ganze Familie, ansonsten wird in Hängematten geschlafen) und vielleicht noch ein Tisch mit einigen Hockern sowie die Kochutensilien und Kleider der Familienmitglieder. Der Boden besteht aus gestampftem Lehm, und unter dem Dach dienen einige Holzbalken dazu, Nahrungsmittel vor Tieren und Ungeziefer zu schützen. Fließendes Wasser oder Strom besitzt niemand im Dorf, auch gibt es kein Telefon, keine Polizei, medizinische Versorgung oder Geschäfte; die wichtigsten Funktionen teilen sich die zwölf „kaziques“ (Häuptlinge) auf, die von allen Dorfbewohnern gemeinsam bestimmt werden (theoretisch können auch Frauen diese Posten übernehmen, in der Praxis kommt das aber selten vor). So gibt es sowohl bei Streitigkeiten als auch Gesundheitsproblemen einen zuständigen „kazique“, ebenso für die Vertretung der gesamten Gemeinschaft vor dem Subpräfekten in San Ignacio de Velasco, dem Abgesandten der Regierung in La Paz. Der Tauschhandel befindet sich meist in Händen eines oder weniger Dorfbewohner, die Gelegenheit haben, regelmäßig Waren wie Zucker, Kleidung, Seife und Ähnliches aus San Ignacio oder einem der größeren Dörfer zu beziehen. Diese Personen sind oft keine Einheimischen sondern eingewanderte Händler, die den Bewohnern die Tauschverhältnisse vorschreiben und in manchen Fällen die Versorgung des gesamten Dorfes mit bestimmten Produkten kontrollieren. Santa Rosita besitzt eine Schule mit zwei Klassenräumen, in denen bis zur siebten Klasse (also bis zu einem Alter von 12 oder 13 Jahren) sämtliche Schüler des Dorfes von drei Lehrern unterrichtet werden. Nach Abschluss des siebten Schuljahres erhalten einige wenige Jugendliche die Möglichkeit, in Internaten wie San Miguelito oder dem ähnlich funktionierenden Mädcheninternat „La Granja“ in San Ignacio weiter zu lernen; die meisten Jugendlichen bleiben jedoch in ihren Familien wohnen, und gründen in frühem Alter eine Familie, meistens ohne kirchliche oder staatliche Trauung.

Wohltätigkeitsaktion mit Pannen

An besagtem Morgen stand zunächst eine „chocolatada“ auf dem Programm: Auf einem Holzfeuer bereiteten wir in einem riesigen Aluminiumtopf heißen Kakao für das gesamte Dorf zu, den wir den Bewohnern zusammen mit Brot und Keksen servierten. Anschließend folgte dann das Theaterstück „Der kleine Prinz“, welches in Anbetracht der kurzen Probezeit (eine knappe Woche) eigentlich recht gut gelungen ist. Zwar stolperte der kleine Prinz über die Leine eines angebundenen Esels, und der Geograph flüchtete schreiend vor ein paar streunenden Hunden; außerdem legte der Tontechniker versehentlich die falsche Kassette in den Recorder und der Prinz reiste daraufhin zu den romantisch besinnlichen Klängen von „Stille Nacht, heilige Nacht“ von Planet zu Planet, aber diese kleinen Zwischenfälle fallen wohl kaum ins Gewicht. Danach sollte eigentlich eine Messe stattfinden; leider hatte der zuständige Priester aber die Nachricht über Radio nicht mitbekommen, so dass wir nur eine kleine Andacht in der Dorfkappelle halten konnten. Tatkräftig begleiteten die Idente – Jugendlichen diese mit Gitarre und Weihnachtsliedern, während sämtliche Kinder und ein Großteil der Erwachsenen begeistert in die Hände klatschte. Dann folgte das Austeilen der Geschenke, die wir zuvor eingesammelt hatten: Kleidung, Puppen, Spielautos, Süßigkeiten und Kosmetikartikel. Für mich war es vor allem interessant, die Einstellung der Idente-Jugendlichen gegenüber den Bewohnern des „campo“ (Land) zu sehen: Tatsächlich verhielten sich die meisten sehr distanziert, ob nun aus Schüchternheit oder einem gewissen Überlegenheitsgefühl heraus lässt sich nur schwer sagen. Obwohl nicht wenige Verwandte in den Dorfgemeinschaften haben, so merkt man den Stadtbewohnern doch einen gewissen Stolz an, in der Stadt zu wohnen und von deren Infrastrukturen profitieren zu können. Im selbem Masse verhielten sich allerdings auch die Dorfbewohner sehr scheu und zurückhaltend, lediglich während des Theaters und des gemeinsamen Singens sind sie ein wenig aufgetaut. Während sie jedoch mit den Idente–Jugendlichen immerhin einige Worte gewechselt haben, so wagten sie es kaum, mir als „Gringa“ in die Augen zu schauen. Beim Austeilen des Brotes habe ich mich daher besonders unwohl gefühlt, weil ich mir ein wenig wie auf den unrealistischen Werbeplakaten einiger Entwicklungsorganisationen vorkam, auf denen der große weiße Bruder den Armen lächelnd das Brot reicht.
An dieser Stelle sollte gesagt werden, dass die Dreikönigsaktion eine einmalige, nettgemeinte Aufmerksamkeit seitens der Idente-Jugend ist; die Bewohner Santa Rositas besitzen sicherlich nicht viel, sind aber nicht von wohltätigen „Geschenkaktionen“ seitens der Städter abhängig. Sie leben von den angebauten Produkten auf den Feldern und den Früchten der zahlreichen Obstbäume, durchleben allerdings immer wieder schwere Zeiten, wenn die Ernten aufgrund starker Regenfälle oder Trockenzeiten ausfallen. In diesen Fällen schicken die Familien oft einen oder mehrere Söhne für einige Monate mit einem Holzunternehmen zum Holzfällen in die Wälder, so dass der Lohn die Familie in harten Zeiten erhalten kann. Im Gegensatz zum kalten und bergigen Hochland im Westen des Landes erleiden die Menschen so trotz häufiger Nahrungsknappheit keine Hungersnöte.

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