Festivalende

Entbehrungen für die Musik

Orchesterproben in Bolivien

In diesem Tagen probte das Orchester munter weiter, obwohl unser Proberaum bei dem feuchten Wetter noch ungemütlicher geworden war, und wir vom stundenlangen Stillsitzen in der Kälte blaue Zehen und steifgefrorene Finger bekamen. Grund hierfür war die noch anstehende Konzertreise nach San José, die für Donnerstag und Freitag geplant war. Trotz der Kälte und der katastrophalen Straßenlage (die Busse aus Santa Cruz waren schon seit einigen Tagen nicht mehr bis zu uns gekommen) machten wir uns in einem Bus auf den Weg in das sechs Stunden südlich gelegene San José. Dort brachte man uns in einer nett eingerichteten Herberge unter, die leider zu zwei Seiten hin offene Zimmer besaß, so dass wir bei den plötzlich unter Null fallenden Temperaturen praktisch draußen schlafen mussten. Ich erinnere mich nur noch, dass ich konstant am Zittern war und blaue Lippen hatte, ebenso wie die meisten anderen Orchestermitglieder. Die Herbergsmutter tat ihr Bestes und versorgte uns mit heißem Kaffee und Tee, besaß allerdings nur eine dünne und kaum wärmende Decke pro Besucher, die uns vor dem nächtlichen Unterkühlen nicht retten konnte. Bei meiner Rückkehr zur Mission brachte ich mir daher eine Bronchitis mit starken Brustkorbschmerzen mit, die sich im Laufe der nächsten Woche verschlimmerten.

Um jedoch noch an unserem Abschlusskonzert in der Kathedrale teilnehmen zu können, quälte ich mich durch meinen Arbeitstag und die anschließenden Proben; das Konzert am darauffolgenden Samstag, so waren sich alle einig, gehörte zu den besten Konzerten aller Orchestergruppen, die gekommen waren. In wie weit der einheimische Stolz hier wieder einmal die Vorstellung genährt hat, die Bewohner seien sowieso unschlagbar (egal worum es geht), sei dahingestellt. Jedenfalls war unsere Erfahrung aus Santa Cruz, dass andere Orchester durchaus um einiges besser spielen, schon ziemlich verblasst.

Zum „Festival de música barroca“ (Barockmusikfestival) gehören nicht nur die beschriebenen Konzertreisen der einzelnen Dorforchester; zusätzlich werden aus der ganzen Welt Musikensembles eingeladen, die ebenfalls durch Städte und Dörfer touren und Konzerte geben. Zentrum dieser Veranstaltungen war in diesem Jahr unsere Stadt, so dass während des zweiwöchigen Musikfestivals jeden Abend ein Gruppe aus einem anderen Land in der Kathedrale ein kostenloses Konzert gab. Es handelte sich dabei zum größten Teil um international bekannte Musiker aus Europa und Amerika, die gegen geringe Bezahlung akzeptiert hatten, am Musikfestival mitzuwirken. So habe ich einige Konzerte besuchen können, für die man in Deutschland sicherlich hohe Eintrittspreise hätte bezahlen müssen.
Die Reaktion der Einheimischen auf diese Konzerte und das Musikfestival insgesamt ist sehr unterschiedlich: Einige besuchten die Konzerte mit wohlwollender Begeisterung und sahen in der gesamten Veranstaltung ein angebrachtes Wiederaufleben der chiquitanischen Vergangenheit und ihres musikalischen Könnens. Andere besuchten jedoch aus Prinzip kein einziges der Konzerte, da sie die Barockmusik als Erbe der europäischen Jesuiten betrachten und eine Aufarbeitung der ursprünglichen Kultur vor der Christianisierung durch die Jesuiten vorziehen würden. Und wieder andere konnten mit barocker Musik einfach nichts anfangen, da sie noch nie in einem Konzert waren und zu dieser Musik gar keinen Zugang fanden. All dies und die Kälte führte dazu, dass die Konzerte insgesamt sehr schlecht besucht waren.
Für mich war es trotz der Anstrengung eine sehr aufschlussreiche Erfahrung, an dem Festival teilzunehmen und so noch eine weitere Seite des Lebens hier kennen zu lernen.

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