Semana Santa in Bolivien

Osterfeiertage während des Freiwilligendienstes

„Semana Santa“ - wichtigstes Ereignis des Jahres

Mitten in das Schuljubiläum fielen ungünstigerweise die Osterfeiertage, und zwar Palmsonntag (4. April) und Gründonnerstag, Karfreitag, Karsamstag und Ostersonntag (8. bis 11. April). In einer so katholischen Region wie der Chiquitania (darüber habe ich ja in früheren Berichten ausführlich erzählt) gehört die „Semana Santa“ (heilige Woche) zu den wichtigsten Ereignissen des Jahres, und es gibt keine Familie, die nicht an den Feierlichkeiten teilnimmt. Schon Palmsonntag, der bei strahlendem blauen Himmel und drückenden 45 Grad Celsius begangen wurde, gab eine Art Vorgeschmack auf die Osterprozessionen: Mit riesigen und im Gegensatz zu Deutschland echten Palmzweigen, die kunstvoll mit den ganzjährig blühenden Blumen der Region geschmückt waren, zogen sicher einige tausend Menschen als einziges Blumen- und Palmenmeer durch die Straßen zur Kathedrale, um dort der Palmsonntagsmesse beizuwohnen. Frauen, Männer und Kinder trugen ihre besten Sonntagskleider und die jungen Mädchen hatten die Haare zu wunderschönen Frisuren aufgesteckt und mit Blumen in allen Farben geziert.
In der Osterwoche selbst finden von Montag bis Sonntag jeden Tag zwei- bis dreistündige Prozessionen über festgelegte Routen durch die Dorfstraßen statt, die an festlich geschmückten Häusern oder Kreuzen (die noch aus der Jesuiten – Zeit hier stehen) vorbeiführen. An festgelegten Stationen wird Halt gemacht, und es werden kleine Andachten mit Bibeltexten, kleinen Predigten, Gebeten, Fürbitten und Liedern zelebriert. Sobald sich die Prozession wieder in Bewegung setzt, werden alte Ostergesänge angestimmt oder der Rosenkranz wird gebetet. Auch an diesen Prozessionen nehmen mehrere tausend Menschen teil, sie finden darüber hinaus in mehreren Stadtteilen statt und sind auch in den außerhalb liegenden Vierteln gut besucht.

Gründonnerstag bin ich mit einer bunt gemischten Freiwilligengruppe (sowohl Spanien, Deutschland, Österreich, Mexiko, die USA, Brasilien und Bolivien waren vertreten) nach Santa Ana gefahren, einem 400-Seelen-Dorf, welches eine stunde Fahrt entfernt lag. Dort haben wir in der einzigen Touristenherberge des Dorfes umsonst übernachten können, da ein befreundeter spanischer Freiwilliger als Wirt, Führer des anliegenden Museums und Gärtner des kleinen Gartens mit regionstypischen Pflanzen arbeitet. Herberge, Museum und Garten wurden von einer spanischen Entwicklungsorganisation angelegt, mit dem Ziel, den Tourismus Santa Anas zu beleben und zukünftig den Einheimischen die Verwaltung der Anlage zu übergeben. Bis jetzt kommen aber nur sehr selten überhaupt Fremde nach Santa Ana, so dass Noe, der spanische Freiwillige, um jede Abwechslung dankbar ist. Er ist mit seiner bolivianischen Freundin und ihrem kleinen Sohn in einem der Herbergszimmer untergebracht, und als wir ankamen, hatte er schon seit sechs Wochen aufgrund der Trockenheit kein Wasser, um die Toiletten nachzuspülen; die Herberge roch unerträglich. Noe erzählte uns viel von seinen Erfahrungen im Dorf, die nicht immer einfach waren; so musste er die Sympathie der Menschen erst schwer erarbeiten, da er als Spanier automatisch mit den Jesuiten-Patres verbunden wurde (die oft auch Spanier waren) und die in den Dörfern viel weniger Ansehen genießen, als in anderen Teilen der Region. Tatsächlich gibt es in den Dörfern viel mehr Menschen, die sich energisch gegen die Behauptung wehren, Mischlingsnachkommen der Spanier zu seien und stolz darauf bestehen, als „paicos“, also einheimische Bauern und Nachkommen der Urbevölkerung dargestellt zu werden. Zwar ist die Bevölkerung auch hier offiziell katholisch und die Messen und Prozessionen sind ausnahmslos gut besucht, doch mischen sich gerade in den Dörfern viele christliche Lehren mit Elementen des ursprünglichen Naturglaubens. Die Kirche Santa Anas wurde als einzige der gesamten Chiquitania nicht von Jesuiten, sondern von der einheimischen Bevölkerung gebaut und besitzt eigene, eindeutig nicht christliche Elemente wie zum Beispiel einige Tierstatuen. Noe berichtete uns von einer sehr lockeren Interpretation der von der katholischen Kirche vorgeschriebenen Verhaltensweisen: Nur selten würden junge Paare heiraten und dauerhaft zusammenleben, vielmehr werden häufige Partnerwechsel als normal angesehen. Fast alle jungen Mädchen sind mit spätestens 14 Jahren schwanger, oft ohne den Vater zu kennen, oder durch Vergewaltigung, die ebenfalls an der Tagesordnung liegt. Mädchen und Frauen gehen allerdings mit solchen Vorkommnissen viel lockerer um, da sie in ihrer Umgebung ja Ähnliches erfahren. Ironischerweise sind zum Beispiel die sechs katholischen Messdienerinnen des Dorfes im Alter von 13 bis 16 Jahren schwanger, eine schon zum zweiten Mal.

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