Sportliche Wettbewerbe in Bolivien

Schulen im Wettstreit 

Hartes Training bei den Jugendspielen - mit offizieller Entschuldigung

Nun aber zu den wirklichen Höhepunkten meiner letzten Monate: Vom 28. März bis zum 2. April fanden die sogenannten „Juegos júveniles“ statt; dabei handelt es sich um Jugendspiele, innerhalb derer sämtliche Schulen der Stadt in den Disziplinen Fußball, Hallenfußball, Basketball, Volleyball und Leichtathletik gegeneinander antreten und bereits seit Beginn des Schuljahres eifrig dafür trainieren. Im Rosenhammer gestaltete sich die Vorbereitung besonders ausgiebig, da die Schüler seit drei Jahren durchgehend die Goldmedaille errungen haben und mit ihren sportlichen Leistungen die anderen Schulen weit übertrafen. In diesem Jahr konnten allerdings viele Topsportler des Rosenhammers aufgrund der Altersbegrenzung (maximal 16 Jahre) nicht teilnehmen, und die Sorge um dadurch bedingte Punktverluste beschäftigte die gesamte Schule. Je näher die Spiele rückten, um so häufiger legten mir zahlreiche Schüler offizielle Entschuldigungen der Sportlehrer vor, um auch während der Unterrichtszeiten trainieren zu können. So fanden sich die Lehrer bisweilen nur mit der Hälfte ihrer Schüler in den Klassenräumen, während der Rest bis zu acht Stunden täglich trainierte (und zwar bei satten 40 bis 45 Grad Celsius und 90% Luftfeuchtigkeit!). Eine wichtige Rolle spielen die Uniformen in den Schulfarben blau und weiß, die sich jeder Teilnehmer für 70 Bolivianos (um 10 US-Dollar) zulegen muss, für viele Schüler eine nicht aufzubringende Summe. Daher bemühen sich die Schüler um einen Paten, der bereit ist, das Geld für die Uniform zu spenden und dafür eine Urkunde erhält. Leider sind viele überzeugt, dass „Ausländer sein“ auch den automatischen Besitz von viel Geld mit sich bringt, und es wandten sich gleich zwei ganze Sportteams an mich, ob ich ihnen nicht die Uniformen bezahlen könne. Um die falsche Vorstellung des geldgesättigten Europäers nicht noch zu unterstützen, und weil ich das Geld auch nicht ohne weiteres hätte aufbringen können, habe ich dies abgelehnt. Lediglich dem ersten Schüler, der mich gebeten hatte, seine „madrina“ (Patin) zu werden, habe ich den verlangten Zuschuss gegeben. Ich bin im Laufe des Jahres öfters in die Situation gekommen, Bitten um Geld ablehnen zu müssen, auch wenn es sich um kleine Beträge handelte. Denn als vor Ort arbeitender Freiwilliger riskiert man immer, dass ein einzelnes Entgegenkommen eine ganze Kette an Bittstellern nach sich zieht, denen man mit Geld sowieso nur momentan und nicht dauerhaft hilft.

Mitreisende Fahnenkämpfe und Anfeuerungsrufe während der Jugendspiele

Endlich war es dann soweit: Die Jugendspiele begannen mit einer Auftaktveranstaltung im Kolosseum (einzige überdachte Sport- und Veranstaltungshalle der Stadt) und dem darauffolgenden ersten Basketballspiel der Damen, welches die Rosenhammermädels auch direkt haushoch gewannen. In der darauffolgenden Woche waren dann sämtliche Spiele in allen Disziplinen sowohl für vor- und nachmittags programmiert, so dass die Sportler eine komplette Woche schulfrei erhielten. Zu allen Veranstaltungen gab Schwester Elsa noch zusätzlich zwei bis drei weiteren Kursen der Oberstufe frei, damit diese zum „hacer barra“ (Lärm/ Aufruhr machen, im Sinne von anfeuern) jeweils ins Kolosseum, ins riesige Stadion im Norden der Stadt, und der im Süden gelegenen „cancha Chiquitana“ (Fußballplatz im Süden des Dorfes) laufen konnten; da mein Arbeitskollege Fredi für zwei Wochen nach La Paz gereist war und ich sowieso nur eingeschränkt Unterricht geben konnte, wählte Schwester Elsa bevorzugt meine Kurse aus, um in diese entlegenen Ecken zu wandern (zum Stadium läuft man eine Dreiviertelstunde, und zum Fußballplatz über eine Stunde). Ich begleitete die Schüler als Aufsichtsperson und hatte nach zwei Tagen von den Fußmärschen durch die pralle Sonne und in Schuluniform nicht nur die Füße voller Blasen, sondern auch das Gesicht dunkelrot verbrannt. Damit war mein neuer Spitzname entstanden : „barby color tomate“, der mit „Tomatenbarby“ zu übersetzen ist, und wohl ein Anspiel auf meine blonden Barbipuppen – Haare und meine tomatenrote Gesichtsfarbe sein sollte. Nun darf man solche netten Anspielungen nicht allzu ernst nehmen, wie es mir zunächst passierte; in Bolivien ist ein Spitzname eher ein Anzeichen von Vertrauen, und die meisten anderen Lehrer wurden von den Schülern nicht weniger schmeichelhaft benannt. Sogar unter sich rufen sich die Schüler oft nur mit Spitznamen, so dass ich von einigen bis heute nicht die richtigen Namen gelernt habe.

Trotz der Anstrengung (ich habe das tägliche Hin- und Herwandern viel ermüdender in Erinnerung als das Unterrichten) bot sich mir vor allem die Gelegenheit, meine Schüler außerhalb des Unterrichts kennen zu lernen und mich mit ihnen über andere Themen als englische Adverbien und Computerprogramme zu unterhalten. Mit einigen „terceros“ (Drittklässlern, entspricht den „Elfern“ in Deutschland) und „cuartos“ (Viertklässlern, den hiesigen Zwölfern), die in meinem Alter sind, habe ich Freundschaft schließen können; wieder einmal hat mich die absolut freundliche und natürliche Einstellung meiner Schüler erstaunt, die den Spagat zwischen Verhalten mir gegenüber im Klassenraum und außerhalb mühelos hinbekommen haben – durch das entstehende, vertrauensvollere Verhältnis gelang es mir nach den Spielen, mich viel lockerer und entspannter im Unterricht zu verhalten und die Unterrichtsatmosphäre hat sich so, vor allem in meinen „Problemkursen“ (den Neunt- und Zehntklässlern), sehr verbessert.

Zum Anfeuern gehörte für mich das Erlernen zahlreicher Reime und Lieder, die den Schulteams von der Tribüne aus zugeschrieen und gesungen werden. Manchmal kommt es zu regelrechten Lärmwettkämpfen zwischen den verschiedenen Schulen, und jegliche Lärmquelle ist hier erlaubt, um die Fans des gegnerischen Teams zu übertönen; so vermengen sich Trillerpfeifen, Rasseln und Trommeln mit dem rhythmischem Stampfen und Springen auf den Tribünenbänken und sogar energischem Einhämmern auf die wellblechverkleideten Wände des Kolosseums zu einem sehr prägenden Geräuschteppich, der auch noch fünf Strassen weiter unüberhörbar ist und in dem direkt nebenan liegenden Haus der Schwestern zur ganztägigen Lärmkulisse wurde. In Abständen dreht eine von jeder Schule eigens dazu erwählte Schülergruppe von fünf bis sechs Schülern eine Ehrenrunde um Stadion, Fußballplatz oder Spielfeld, Oberkörper und Gesicht in den Schulfarben bemalt, lautstark brüllend und die Schulfahne schwenkend. Treffen sich die Fahnenträger der gegnerischen Teams, so versuchen sie, die Fahne des anderen Teams mit der eigenen „einzuwickeln“ und so unsichtbar zu machen. Manchmal ziehen diese Fahnenkämpfe mehr Aufmerksamkeit auf sich als das eigentliche Spiel und werden von den Zuschauern begeistert und lautstark kommentiert.
Ich habe an der euphorischen Atmosphäre rund um die Jugendspiele zunächst nur als passiver Zuschauer teilgenommen; aber schon nach einigen Tagen hat es auch mich von der Bank gerissen und ich bin in Chöre wie „Alabim, alabam, alabim, bum, bam, Rosenhammer, Rosenhammer, bien, bien, bien“ (Alabim, bum bam, Rosenhammer gut, gut, gut) oder die Schulhymne eingefallen. Die gute Stimmung unter den Schülern ist einfach unwiderstehlich.

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