Als Praktikant nach Porto

Erfahrungsbericht: juristisches Praktikum in Porto

In Portugal jobben

Alltagsleben in Portugal

“Die Stadt Porto liebt man oder man liebt sie nicht!“ Diese Aussage hörte ich von einigen Bekannten, die ich vor meiner Abreise nach Porto gefragt hatte. Nach einem vierwöchigen Praktikum, das ich als Student der Rechtswissenschaften absolvierte, kann ich sagen, dass ich Porto liebengelernt habe.
Das Praktikum in Porto war eines von drei während des Jurastudiums zu durchlaufenden Praktika. Da ich bereits ein Gerichtspraktikum in Deutschland und ein Praktikum bei der Staatsanwaltschaft in Charlottesville (USA) absolviert hatte, sollte es nun ein Praktikum bei einem Anwalt in Portugal werden.

Auf abenteuerliche Weise kam die Verbindung zu dem Anwalt zustande: Ich fragte meine Portugiesischlehrerin in Würzburg, ob sie einen Anwalt in Portugal kenne, der bereit sei, mich als Praktikanten aufzunehmen. Zu meinem Glück war ihr Nachbar in Porto ein Richter, der mich über drei Ecken an einen Anwalt vermittelte, der Platz und Interesse hatte, mich in seine Kanzlei aufzunehmen. Außerdem machte meine Portugiesischlehrerin eine weitere Bekannte ausfindig, die mir für den entsprechenden Zeitraum ein Zimmer vermietete. So flog ich kurz darauf mit der Adresse des Anwalts und der Adresse der Vermieterin nach Porto.

Am Flughafen nahm ich ein Taxi in Richtung Vermieterin. Nach langem Suchen und Nachfragen fand ich die Straße und Hausnummer, schwierig deshalb, weil an den Häusern in Portugal keine Namensschilder hängen. Ich klingelte und klingelte, niemand öffnete. Über Nachbarn, die einen Schlüssel hatten, fand ich dann doch noch Einlaß. Ich war froh unterkommen zu sein, denn es war schon spät in der Nacht. Zwei Tage später tauchte meine Vermieterin auf. Sie war völlig aufgelöst, nachdem sie zweimal überfallen worden war, einmal in Lissabon, wo man ihr das Geld raubte und ein zweites Mal, als sie neues Geld von der Bank abgehoben hatte.

Ich wohnte nicht in Porto selbst, sondern in der Schwesterstadt Vila Nova de Gaia auf der anderen Seite des Rio Duro mit vielen Portweinkellereien. Ein erster Tipp: Wer ein Praktikum in Porto macht, sollte versuchen, eine Wohnung oder ein Zimmer in Porto selbst zu mieten, nicht in Gaia. Der Verkehr in und um Porto ist ungemein stark. Die Straßen sind zu Stoßzeiten völlig verstopft und der überfüllte Bus steht mehr, als dass er vorankommt. Auch in der Nacht ist der Verkehr nicht leiser, so dass es sich empfiehlt, Ohrstöpsel mitzunehmen.

Das Ausfindigmachen der günstigsten Buslinie verlangt Pioniergeist. Insgesamt existieren zwei Buslinien: Grün für Espirito Santo von Porto nach Gaia und blau für STCP von Gaia nach Porto (93 Cordoaria) und zurück (93 Levandores). Espirito Santo fährt aber auch nach Porto. Das Busverkehrnetz ist schwer verständlich, aber zuverlässig, wenn man einmal die Zeiten herausgefunden hat. Es ist günstiger, sich die Fahrkarten im Voraus zuzulegen, als Einzelfahrkarten (agente único) im Bus zu kaufen. 10-Karten (dez viagens, innerhalb Portos T1, nach Gaia T2) sind an jedem Kiosk erhältlich.

Portos Innenstadt ist sehenswert. Insbesondere lohnen der Torre dos Clérigos (unbedingt hinaufsteigen), der Nahverkehrsbahnhof São Bento an der Praça da Liberdade und die Brücken über den Rio Duro eine Besichtigung. Das moderne Berufungsgericht für Zivilsachen ist eine Attraktion und liegt gleich an der Endstation der Buslinie 93 an der Praça de Cordoaria.

Inhalt des Praktikums

Nun zu meinem Praktikum:
Ein portugiesisches Sprichwort lautet: In Coimbra wird studiert, in Braga gebetet, in Lissabon gefeiert und in Porto gearbeitet. Daß es in Porto viel zu arbeiten gibt, habe ich gleich am ersten Tag gemerkt, als sich auf meinem Schreibtisch eine dicke Akte mit einem komplizierten Arbeitsrechtsfall in vier Sprachen befand, den es zu lösen galt. Überdies ging mein Ausbilder offensichtlich davon aus, ich sei bereits Referendar. Der Grund lag wohl darin, dass ich in meiner Bewerbung an die Kanzlei „Praktikum“ mit „estágio“ übersetzt hatte, was zwar „Praktikum“ bedeutet, aber in Portugal anders verstanden wird, nämlich im Sinne von „Referendariat“. Ein Praktikum in dem Sinne wie in Deutschland, ist in Portugal unbekannt. Es bedurfte der Aufklärung, dass ich mich im 4. Semester befand.

In einer portugiesischen Kanzlei ist das Tragen eines Anzugs Pflicht. Im allgemeinen wird bei Damen und Herren großer Wert auf neue Mode gelegt – ein Novum für einen deutschen Studenten!

In der Kanzlei hatte ich einen eigenen Schreibtisch mit Computer, Telefon und Internet zur Verfügung. Der Anwalt, gleichzeitig Präsident der Deutsch-Portugiesischen Handelskammer und Vorsitzender der Portugiesischen Anwaltskanzleien, nahm sich viel Zeit für mich. Er führte mich ein und erklärte alles, was mir neu und fremd war.

Aufgrund der internationalen Beziehungen zu Kanzleien u.a. in Deutschland und Österreich ging es um Fälle, die sowohl das portugiesische als auch das deutsche Recht betrafen. Typische Beispiele: Eine deutsche Arbeitnehmerin klagt auf Lohn und Schadensersatz wegen nicht fristgerechter Kündigung gegen ein portugiesisches Unternehmen; eine deutsche Firma versucht ihren Kaufpreisanspruch gegen einen portugiesischen Exportbetrieb durchzusetzen. Gute portugiesische, englische und französische Sprachkenntnisse sind für ein juristisches Praktikum in Portugal deshalb unabdingbar.

Meine Arbeit bestand u.a. darin, die Akte zu lesen, den Sachverhalt zu analysieren, eine eventuelle Verjährung zu prüfen und in Zusammenarbeit mit dem Anwalt Schreiben zu verfassen, die an die jeweiligen Klienten verschickt wurden, um so ggf. eine Klageerhebung vorzubereiten. Fehlte eine Gerichtsvollmacht zur Klageerhebung vor einem portugiesischen Gericht, musste am Beispiel einer portugiesischen Vollmacht eine deutsche Vollmacht entworfen werden, damit der Klient in Deutschland erfuhr, worauf es bei der portugiesischen Vollmacht ankam, die er letztlich zu unterschreiben hatte. Ein anderes Mal war ein Bericht über Immobilienrecht für die International Association of Lawyers zwecks Veröffentlichung aus dem Portugiesischen ins Deutsche zu übertragen.

Leider konnte ich – anders als ursprünglich geplant – nicht an einer Gerichtsverhandlung teilnehmen. Die entsprechende Entscheidung über den Fall, den ich vorbereitet hatte, wurde von dem zuständigen Gericht auf einen Zeitpunkt nach meiner Abreise vertagt.
Insgesamt erhielt ich während den vier Wochen einen ausgezeichneten Einblick in die Arbeitsweise einer portugiesischen Kanzlei. Ich durfte bei der Bearbeitung von aktuellen Fällen mitwirken und hatte das Gefühl, für voll genommen zu werden.

Nicht zuletzt werden mir von dem juristischen Praktikum in Portugal der unmittelbare Kontakt und die kulturelle Begegnung mit den so freundlich eingestellten Portugiesen in bester Erinnerung bleiben. Insbesondere ist ihre ausgesprochene Gastfreundschaft hervorzuheben. So schenkte mir die Vermieterin morgens Brötchen und frischgebackenes Brot, abends brachte sie mir ein Stück Melone und Weintrauben auf das Zimmer. Die Nachbarn zeigten sich ebenfalls äußerst besorgt um mich und wollten nicht nachstehen. Sie fuhren mich zum Einkaufen, zeigten mir am Wochenende den Badestrand und brachten mir eine neue Gasflasche, als nur noch kaltes Wasser zum Duschen zur Verfügung stand.

Matthias Henke

 

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