Israel in den 30er Jahren

Industrie im Kibbuz

Wenn früher Gäste zu einem Besuch im Kibbuz ankamen, konnten sie bereits bei der Einfahrt zur Siedlung den landwirtschaflichen Charakter sehr deutlich sehen und riechen.

Heutzutage mag die Straße erst zwischen Industriehallen und Frachtcontainern entlangführen, ehe man die Mangoplantage auf dem Weg zum Kibbuzzentrum zu Gesicht bekommt.
In der Tat hat sich der Kibbuz nicht nur äußerlich, sondern auch strukturell verändert. Aus dem Experiment von neun Siedlern in Degania (1909) ist eine neue Siedlungsform entstanden. Die Zuwachsrate der Bevölkerung - der Durchschnittsiraeli ist längst ein Städter geworden, der im Dienstleistungssektor oder in der Industrie sein Brot verdient - hat natürlich auch ökonomische Konsequenzen gefordert. Aber die wirtschaftliche Entwicklung des Kibbuz ist in das gesellschaftliche Selbstverständnis eingebettet, da die Industrie in einem Kibbuz eben nicht nur eine bloße ökonomische Einheit ist. Die Erwartungen an die Kibbuzindustrie gehen über das rein wirtschaftliche Kalkül weit hinaus. Wie wichtig ist eigentlich die Industrie für die Weiterexistenz der Kibbuzim?

Wird die Kibbuzindustrie den Erwartungen gerecht? Entspricht die industrielle Organisationshierarchie den Vorstellungen einer »klassenlosen« Gesellschaft? Lassen sich Prinzipien von regelmäßigem Wechsel in Entscheidungs- und »Macht«-Positionen in einer auf Spezialisierung angewiesenen Fabrik verwirklichen?

Diese und viele andere Fragen stellen nicht nur Besucher eines Kibbuz. Es handelt sich um Probleme, die den Alltag der Kibbuzim seit einigen Jahrzehnten wesentlich bestimmen. Zur Beantwortung dieser Fragen muß man sich die kurze Geschichte der Kibbuzindustrialisierung etwas näher anschauen. »Um zu wissen wohin man will, muß man wissen woher man kommt« sagt ein altes Sprichwort.

Die Zeit von 1909 - 1930

In der ersten Zeit, bis hin zu den dreißiger Jahren, gab es nur die eine oder andere Werkstatt für örtliche Reparaturzwecke. Es ging darum, nicht auf Dienstleistungen von außen angewiesen zu sein. Nicht nur waren die jeweiligen Gruppen zum Aufbau einer Manufaktur zu klein, sondern es lag auch an der idealistischen Einstellung der Pioniere jener Zeit, daß landwirtschaftliche Arbeit an höchster Stelle stand.

1930 - 1939

Die Anfänge der Kleinmanufakturen liegen am Beginn der dreißiger Jahre. Mit den Einwanderungswellen von Juden nach dem damaligen Palästina kamen auch Fachkräfte, deren berufliche Ausbildung dem Kibbuz eine zusätzliche Einnahmequelle und der betreffenden Person die Entfaltung der Fähigkeiten zum Wohle der Gruppe ermöglichte. Die Landwirtschaft bot noch genug Möglichkeiten für Ausdehnung und Erweiterung der Produktion und besaß noch eine ausreichende Aufnahmekapazität für neue Arbeitskräfte. In dieser Zeit entstanden also kleine Schreinereien, aber auch die ersten Verarbeitungsbetriebe für landwirtschaftliche Erzeugnisse mit Konserven und Fruchtsäften. Dies war der Beginn der Nahrungsmittelindustrie, die sich später erheblich ausdehnte.