Üppige Blumenpracht Israels

Fahrt zur Blumenwiese

Poesie der Natur

Die schönsten Orchideen

Ausgerüstet mit einem Busfahrplan und Gadis Information (er hatte eigens Freunde angerufen), daß auf dem Hang gegenüber dem antiken Teil Hazor bereits „weiße Schleier" zu sehen seien, war ich Ende März nach dreistündiger Busfahrt vom Kibbuz Ayeleth Haschachar aus losgestapft, Richtung Tel (doch auf der anderen Straßenseite) - und war dann atemlos stehengeblieben und hatte im ersten schreckhaften Erkennen die Augen geschlossen. Dieses hier! - Ich glaube, ich stürzte vorwärts mit fassungslos ausgebreiteten Armen. - Was da zwischen den hüfthohen Gräsern am Hang, rechts von mir, schimmerte, stellte alles in den Schatten, was ich vorher und später gesehen habe.

Nirgendwo steht eine Blume so rein vom Staub der Vergänglichkeit: herrlichste Überwindung des Nichts. Alle anderen Erscheinungen waren plötzlich belanglos geworden nach Zweck und Bedeutung- der stachlig-purpurne Akanthus (den ich gleichfalls zum ersten Male sah), der flammend gelbe Ginster, die Stimmen von Rotkehlchen und Grasmücke, das Schrillen der Zikaden, die tausend wilden vegetabilischen Gerüche - waren ihrer Stofflichkeit und deren Reiz entkleidet; die Blume allein wurde getragen von jener unerschütterlichen Ordnung, die mein Geist in ihr erkannte, unendlich und wunderbar gültig als Farbe und Form: blendendes Weiß, schimmerndes Purpur, sanft gesprenkeltes Gelb und Schwarz schmückte die Formen, mit einer atembeklemmenden Leichtigkeit, mit der mühelosen Gewalt eines Diamanten, der formloses Glas in Figuren zerteilt. Die Blumen standen in kleinen Gruppen, eingezäunt wie eine Kuhherde, und wie verborgen im schimmernden Gras, das der noch jungen Frühlingserde einen glühenden Kontrast erpreßte, ringsumher die einzige Farbe, die klingt - neben dem von Purpur übergossenem Weiß der Iris.

Was steht, ist vollkommen. Nichts läßt daran denken, daß es anders hätte sein können. Mit den Farben, die nicht das Maß eines menschlichen Sehens zu kennen scheinen, beginnt es - ungeheuer als Gedanke - emporzusteigen als weißes Licht, in die endgültig sichere Gestalt einer kronenförmigen Blüte- und doch: eine jede anders, jede ein neuer vollkommener Entwurf:
da gibt es geschweifte Tunnel; die die Narbe verbergen, geschwungene oder helmartig herabgezogene Domblätter; oder sie sind zusammengeführt und zugespitzt wie ein gotischer Dom. Dann gibt es strahlend geöffnete Blüten, Kronen gleich, die sich hingebend dem Licht zuwenden; kokett geschwungene Blütenblätter, die ein Stukkateur des Barock ersonnen zu haben schien. Andere Blütengestalten erinnerten von weitem an ausgebreitete Schmetterlingsflügel oder fliegende Schwäne.

Iris Hadur, die Prachtiris, ist größer als jede andere Schwertlilienblüte: 11 Zentimeter mißt ihr Durchmesser. „Die drei hochgeschlagenen, an den Spitzen einander zugeneigten Kronblätter waren breiter als bei anderen Irisarten und dadurch an ihren Rändern weiter und üppiger gewellt, sie glichen bewegten, im Licht und im Winde spielenden Feenschleiern. Ihre Ergänzungen und Gegenstücke, die drei scharf nach unten gebogenen Blütenblätter, waren nicht minder breit gefächert, am Rand barock gekräuselt und mit ihren Spitzen so eng an den Stengel geschmiegt, daß dessen oberer Teil und der Fruchtknoten völlig verhüllt wurde. Besonders ausgestaltet zeigte sich auch die Narbe. Statt, wie sonst üblich, schräg nach oben zu weisen, machte sie ein Stück weit die Krümmung des herabgezogenen Kronblattes mit, ohne sich ihm jedoch völlig anzuschmiegen, sondern mittels der herabgezogenen Ränder ein tunnelartiges Dach bildend", beschwört Andreas Suchantke seine Begegnung mit einer Prachtiris nach mühevoller Suche. Aber auch dieses Dach kann unterschiedlich gestaltet sein:
da gibt es barock gekräuselte oder glatte, da gibt es alle Farben - vom samtigen Purpurschwarz über Brandrot bis zu einem sanften Gelb. Die „Individualisierung", die Suchantke anhand der Gilboa-Iris mit ihrer vielfältigen Farbpalette (von Purpurschwarz über Rotviolett bis Seidengrau) belegt, gilt in abgeschwächter Form auch für Iris Hadur.

Die „beiden Endzipfel der Narbe schließlich waren, das Motiv der übrigen Blüte aufnehmend, wie Schmetterlingsflügel wieder nach oben gekrümmt und ausgebreitet. Das Tor des kleinen Tunnels lag in geheimnisvollem Dunkel, die einzige Stelle, an der die Blüte nicht aufgelichtet war, sondern sich düster verhüllte;
ein dunkel lockender Eingang, dessen ansaugende Wirkung noch dadurch verstärkt wurde, daß purpurne Linien - die Blattadern (bisweilen sind es freilich nur zarte Punkte; d. Verf. in) - wie die Radien eines Fächers auf die Öffnung zuliefen und mit zunehmender Nähe immer dunkler, schwärzlicher wurden, bis sie im Eingang der Höhle verschwanden. Ganz anders auf den nach oben gerichteten Blütenblättern. Statt hereingezogen zu werden, schienen die feinen Purpurlinien sich hier in den Umkreis auszubreiten, von Anfang an viel aufgelichteter und zarter, um schließlich im Umkreis zu verstrahlen. Etwas auf Distanz betrachtet, lösten sich diese zartrötlichen Linien in die umgebende weiße Grundierung hinein auf, und es entstand der Eindruck zartesten Purpurs, ein Hauch nur, der aus noch größerer Entfernung ganz verschwand und einem reinen Weiß Platz machte."
Eigenartig und verwirrend ist auch der Duft dieser Iris: eine schwache, doch intensive Süße, nach überreifem Obst, nach ein wenig angegammeltem Kuchen.