Bewaffnete Tiere
Noch einige Wünsche offen
Pläne für die Zukunft
Mit anderen Bewohnern Israels machte ich weniger erfreuliche Erfahrungen. Da war der Bombardierkäfer, der sich auf seine Weise für seine Rettung bei mir „bedankte": ich hatte den hilflos auf der Straße Herumirrenden ins schützende Gras tragen wollen - da schrie ich angeekelt auf: ich roch einen fürchterlicher Gestank, Abreiben der Finger am Gras half nichts - aus einer Drüse am Hinterleib hatte der Käfer eine gelbe Flüssigkeit auf meine Finger gegossen, die ihn umklammert hielten. „In Israel sind sogar die Tiere bewaffnet", sinnierte ich.
So verhält es sich auch mit einem anderen Tier, das aus Afrika stammt, sehr scheu ist - und wenn es sich in Gefahr wähnt, äußerst wehrhaft. Ich meine das Stachelschwein. Ich hatte vergeblich in einem eigens dazu präpariertem Versteck nach ihm Ausschau gehalten. Daß es Stachelschweine im „British Park" gibt, bewiesen die nadelspitzen Stacheln (manche fast einen halben Meter lang), die ich am Straßenrand fand - Hinweise auf einen Kampf? Mit welchem Ausgang für das Tier?
Das richtige Verhalten gegenüber Autos ist in der genetischen Ausstattung der Tiere nicht „einprogrammiert": dies bewiesen auch die Chukarhühner (Alectoris chukar), die bei meiner Annäherung noch stets polternd und aufgeregt gackernd aufgeflogen waren - als sich ihnen Gadi im Auto näherte, trippelten sie eifrig nickend vor dem Wagen her; erst ein lautes Hupen brachte sie zur Besinnung ... nun erst flogen sie mit lautem Flügelgeschwirr ab, gradlinig wie Geschosse. - Wie sich ein Stachelschwein im Kampf, etwa mit jungen Löwen verhält, beschreibt David Attenborough: Zuerst stampft das Stachelschwein mit einem Fuß auf; hilft die Drohung nicht, dreht es sich blitzschnell um die eigene Achse, die langen Stacheln (von denen etliche Widerhaken besitzen) von sich schleudernd: eine gefährliche Waffe! Attenborough sah junge Löwen mit Wunden und Stacheln in der Nase!
Ein anderes Buch, über die Tier - und Pflanzenwelt Israels, beschreibt das Verhalten des Stachelschweins folgendermaßen: Wenn es sich bedroht fühlt, zögert es nicht, den Feind anzuspringen und ihm die Stacheln ins Gesicht zu schleudern! Über den Speiseplan des Tieres (das nicht mit Schweinen, sondern mit Nagetieren verwandt ist) heißt es: Es mag Honig - und Wassermelonen, räubert und gräbt in Äckern, stiehlt Mohren; findet es dies nicht, begnügt es sich mit Zwiebeln. Ein wählerischer Feinschmecker - was ihm den Zorn der Bauern einbringt!
Doch ein junger Löwe ist kein Auto: einmal sah ich einen Blutfleck auf der Straße, die nach Beth-Guvrin führt; unzählige Stacheln lagen unter der Leitplanke. Reste einer Mahlzeit, die Schakale, Schreiadler und Bussarde nach dem tödlichen Unfall eines Stachelschweins gehalten hatten?
Vielleicht war es gut, daß wir einander nicht begegneten; möglicherweise wäre mir meine Neugierde zum Verhängnis geworden... Doch ich will wiederkommen, will den Hang gegenüber dem antiken Tel Hazor besteigen, wo unzählige weitere Blüten von Iris Hadur auf mich warteten (das war, als ich den letzten meiner fünf Filme „verschossen" hatte!); ich will ein weiteres Mal nach Nazareth fahren, diesmal jedoch etwas früher; ich will die sagenhafte wilde Päonie (lat. Paeonia mascula; hebr. admonit hachoresch) entdecken, die nur an einem einzigen Platz in Israel vorkommt, an einem Hang des Berges Merom. Ich will die angeblich süß wie Zucker duftende rosa Hermontulpe (Tulipa lownei) fotografieren, die ich diesmal nicht sehen konnte, weil ich den Golan verlassen hatte. Ich will mit meiner Kamera die kleinen blauen Eidechsen „fangen", die immer so eifrig auf der Hut sind.
Ich will weiter träumen, zugleich staunenden und schweifenden Auges, denn einer der schlimmsten Krisenherde der Welt, über dessen Katastrophen und „Zwischenfälle" wir nahezu jeden Tag hören und lesen, beherbergt zugleich unübertroffene Meisterwerke edelster Blütengestalten, Kostbarkeiten, deren Wert darin besteht, den Menschen, der sie findet, glücklich zu machen. Ich will nicht aufhören, davon zu träumen, gerade angesichts täglicher menschlicher Unglücksfälle, entsetzlichen moralischen Versagens. Vielleicht ist mein Verhalten Eskapismus - doch wer möchte leben ohne den Trost der Schönheit?
Sulamith Sparre