Auf einer Obstplantage in Israel

Aufenthalt in einem Kibbuz in Israel

Eine Reise zu einem Land voller Begegnungen

Von Blumen und Menschen

„No somos muchos pero somos machos.”
Verzweifelt stemme ich mich gegen das kleine Bäumchen, setze nochmals die Astschere an, drücke, um den Ast durchzuschneiden - vergeblich, meine Finger sind ohne Kraft. Verstohlen blicke ich um mich - die anderen Volontäre sind mit „ihren“ Reihen längst weiter, einige sind bereits beim siebenten oder achten Baum angelangt, - ich „kämpfe" immer noch mit dem ersten.
Ein großer graubärtiger Mann kommt auf mich zu. „Mäh shlomech" (hebr. „Wie geht es"), fragt er und grinst freundlich. Er hat meine vergeblichen Anstrengungen längst bemerkt. „Ich habe keine Kraft, meine Finger sind wie Spaghetti, ich komme einfach nicht vorwärts mit dem Baum", klage ich. „Der Ast ist für die Schere viel zu dick."

Wie ein geübter Zauberkünstler greift David in seine große Hosentasche - und zieht eine kleine Säge heraus. Dann sieht er mir zu - und ich jubele innerlich, weil mit einem Male meine Probleme behoben sind.
Baumschnitt in einem Obstgarten im Kibbuz Ei-Rom, dem höchstgelegenen und nördlichsten Kibbuz Israels, nur zehn Kilometer von der syrischen Grenze entfernt.

Ich hatte mich für die Arbeit eines Volontärs in diesem Kibbuz unterhalb des Hermon gemeldet, weil die Arbeit meinen Wünschen und Vorstellungen entsprach: Arbeit in einer Obstplantage. Der Kibbuz, so erfuhr ich bald, besitzt über hundert Hektar Obstgärten: Pfirsiche, Aprikosen, Pflaumen - und vor allem Äpfel. Der Kibbuz wurde 1971 gegründet, - als Antwort auf die Entscheidung der israelischen Regierung, eine zivile Präsenz in den Golanhöhen zu schaffen. Die Gründungsmitglieder sind junge Israelis aus den großen Städten und Neueinwanderer aus Südafrika.

Bald erfahre ich noch mehr: die Mitglieder - es sind ungefähr 200 Personen - kommen aus mindestens 25 verschiedenen Ländern - perfekte Voraussetzung, um ein Filmübersetzungs-Studio zu eröffnen. Es gibt in ganz Israel nur zwei derartige Einrichtungen. Mit anderen Worten: der Kibbuz hatte eine Marktlücke gefunden und genutzt.
Denn auch der Kibbuz leidet unter der veränderten wirtschaftlichen Lage; die kapitalistische und konsumorientierte Gesellschaft übt Druck auf andere Lebens- und Gesellschaftsformen aus. Darum - und um trotzdem seine Weiterexistenz zu gewährleisten - hat Ei-Rom sein Lohnsystem den veränderten Bedingungen angepaßt:
Mitarbeiter (auch Volontäre) werden je nach Leistung bezahlt und erzielen demzufolge auch mehr oder weniger Einkommen. Dies ist eine völlige Verkehrung des ursprünglichen Kibbuzideals, wo galt, daß jeder gleichen Lohn erhalten sollte, unabhängig von seiner Leistung (oder seinem Leistungsvermögen). „Die Putzfrau bekommt soviel wie der Professor", war damals das gängige Schlagwort.