Die Geschichte eines israelischen Friedensaktivisten

Gedanken zum Nahostkonflikt

Politische Situation in Israel

Eine verfahrene Lage

Gadis Biographie ist zugleich typisch für die Schicksalsdichte dieses Landes - seine Überlegungen zur politischen Situation Israels, und seine Ideen, wie sie sich ändern ließe, weisen ihn als kreativ und politisch verantwortungsbewußt aus. Gadi ist Friedensaktivist; sein palästinensischer Freund Issa („wir kennen einander seit über 30 Jahren. Ich war bei Issas Hochzeit dabei und bei der Beerdigung seiner Eltern") arbeitet als Koch in seinem Restaurant, - und hat mit enormen Schwierigkeiten zu kämpfen, wenn er das Westjordanland verlassen will. Gadis Kommentar zum Zaun, den die israelische Regierung errichtete: „Scheiße."
Gadis Überlegungen hinsichtlich einer Lösung des Nahostkonflikts sind ebenso kühn wie überzeugend. Ich möchte sie an dieser Stelle wiedergeben, weil sie eine Utopie angesichts der realen Katastrophe bedeuten - eine Utopie jedoch, die sowohl Israel als auch seine arabischen Nachbarn dringend benötigen. Es geht um eine neue Utopie angesichts der realen Misere - wie auch Theodor Herzls Überlegungen einst Utopie waren - angesichts der realen Misere der Juden in Europa, damals schon. Heute aber ist die Situation eine andere - und Herzls Utopie hat sich überlebt.

Vorangegangen war meinem Gespräch mit Gadi ein anderes mit einem frommen Juden, der mich in eine Debatte über Sinn und Bedeutung von „Jüdischkeit“ verwickelt hatte. Ich hatte ihn gefragt, was ein Jude sei; wie er sich selbst als Jude definieren würde. „Jude ist, wer die Thora beachtet und in ihrem Sinne lebt", hatte er geantwortet, „dazu gehören die Kaschrut, die Reinheitsgebote in der Ehe und die vorgeschriebenen Gebete." - „Wenn nun jemand einen Menschen aus einer schwierigen Lage befreit, getreu des Gebots, das in der Pessach-Haggada steht (´Du sollst den Fremden in den Mauern deiner Stadt nicht bedrängen. Vergiß nicht, daß du selbst einst ein Fremder warst in Ägypten´), aber nicht die Kaschrut (2) beachtet (ich spielte dabei darauf an, daß Gadi die Kaschrut-Vorschriften ignorierte), ist der auch ein Jude?" „Nein, er ist ein guter Mensch, aber kein Jude."

Eine extreme Einstellung, ohne Zweifel. Nun fragte ich Gadi, was er darüber dachte. Seine Antworten überraschten mich anfangs - bis ich begriff, worum es ihm ging. „Wie würdest du deine „Jüdischkeit“ definieren?", hatte ich ihn gefragt. „Ich bin Israeli", hatte er geantwortet und so zugleich auf den Kern des Nahostkonflikts verwiesen. „Gut wäre es, wenn es anstelle des jüdischen Staates einen säkularen Staat gäbe, keinen zionistischen oder religiösen. Dann könnte jeder um die Staatsbürgerschaft ersuchen, gleichgültig ob Jude oder Nichtjude. Dann könnte Israel auch Bedrängten in Krisengebieten helfen und Erbarmen üben.
Dann dürfte die Kategorie „Judesein" nicht mehr Voraussetzung zum Erhalt der Staatsbürgerschaft sein - das wäre obsolet. Israel könnte ein Land wie jedes andere werden." „Aber es war doch die einzige Zuflucht für bedrängte Juden aus ganz Europa; alle anderen Türen waren ihnen verschlossen!", warf ich ein.
„Die heutige Situation ist eine völlig andere. Die politische Situation eines ´Judenstaats´ nimmt darauf keinerlei Rücksicht." „Aber die Palästinenser üben Terror aus!"
Darauf Gadi: „Die Palästinenser müssen in die Lage versetzt werden, den Frieden können zu wollen. Im Moment können sie es nicht. Darum gibt es den Zaun, der sie von Israel trennt." (3)

Mit dieser Erklärung stimmt er mit kritischen Denkern wie z. B. David Grossman überein (4), die ebenfalls von Israel den ersten Schritt zum Frieden fordern: vom Stärkeren müsse der erste Schritt kommen. Aber die offizielle Politik legt diesen „ersten Schritt" als „Zeichen der Schwäche" aus. Daran krankt der gesamte Friedensprozeß - und überläßt das Feld den Extremisten. Darum fürchte ich, daß Gadis Utopia (das viele Probleme lösen könnte) scheitern wird an den realen Egoismen - auf beiden Seiten es Grenzzauns.
An seinen eigenen Maßstäben gemessen, erscheint der Zionismus der letzten 40 oder 50 Jahre nicht wenig problematisch. „Gewiß ist der Zionismus", schreibt 1989 Allan Zink, „aber auch der Holocaust, die Ursache dafür, daß es heute einen jüdischen Staat und eine israelische Nation gibt. Doch weit davon entfernt, seinen Anspruch auf Errichtung einer sicheren "Heimatstätte" für die bedrängten Juden der Diaspora einzulösen, hat der Zionismus in einem gewissen Sinne ein neues, lediglich etwas größeres Getto geschaffen: einen der gefährdetsten und regional isoliertesten Lebensräume der Welt, der nur mit kostspieligen militärischen Mitteln aufrechterhalten werden kann und einen permanenten Faktor der Destabilisierung im Nahen Osten darstellt." (5)
„Und was wird mit dem Golan?", frage ich Gadi. -„Israel müßte ihn abgeben, doch mittlerweile ist der Golan bereits länger in jüdischem als in syrischem Besitz. Deshalb wird sich wohl nichts mehr ändern."