Unkraut oder geschützte Pflanze?

Eine Gärtnerlehre

Schädlingsbekämpfung mit allen Mitteln

Ein innerer Konflikt

Alle Volontäre sind zur landwirtschaftlichen Arbeit eingeteilt: es werden neue junge Bäume gepflanzt, Zäune gezogen, Bäume festgebunden, um nicht vom Sturm umgepustet zu werden; abgeschnittene Äste müssen fortgeschafft und junge Bäume beschnitten werden. Eine besonders unangenehme Arbeit ist das Aufspüren der Raupe eines gefährlichen Schmetterlings: Sass-Hanamer (d.i. Tigerschmetterling) legt seine Eier auf den Stämmen von Apfelbäumen ab. Die fingerdicke Raupe frißt sich durch das Innere des Stammes und kann so den Baum zum Absterben bringen. „Die Raupe hat bereits mehrere Plantagen eines anderen Kibbuz zerstört", erklärt uns David, „also gebt acht, alle Schlupflöcher aufzuspüren."

Nun beginnt das „Angeln", eine Arbeit, die Geschicklichkeit erfordert: nachdem ich das winzige Schlupfloch am Stamm gefunden habe (und wie oft hatte ich es übersehen, was mir die Rüge einer anderen Chefin einbringt), schneide ich es mit meinem Taschenmesser auf und führe einen Draht ein, dessen Ende wie ein Angelhaken gebogen ist. Diesen Haken bewege ich behutsam im Inneren der Baumwunde - manche Wurmgänge sind bis zu 20 Zentimeter lang!
Habe ich Glück und das Tier getroffen, höre ich ein schlürfendes Geräusch. Vorsichtig führe ich den Draht noch tiefer ein und ziehe ihn dann langsam zurück - das schlürfende und schmatzende Geräusch ist jetzt deutlich zu hören - und an meinem Haken krümmt sich eine fette gelbe Raupe! Ich lasse sie aufatmend fallen und trete sie platt. Glück gehabt - ein Baumzerstörer weniger!

Man rückt den Schädlingen auch mit Giften auf den Leib, aber die Gifte wirken nicht immer, außerdem will man davon so wenig wie möglich einsetzen. Zu welchen Problemen der Einsatz von Pestiziden führen kann, mußte ich einmal selbst erleben: Davids Sohn teilte mich zum „Sprühen" ein. Ich mußte hinter dem Traktor hergehen und mit einer großen Spritze alle „Unkräuter" mit Gift besprühen. „Laß keinen grünen Flecken aus!", hatte mir Nadaw eingeschärft, für mich bald eine Quelle großer Konflikte:
denn, wie ich bald erkenne, sind etliche der kleinen grünen Blätter junge Tulpen (die Blüte ist jetzt, im Februar, natürlich noch nicht da) und Milchsterne (hebr. nez chalaw; lat. Ornithogalum montanum), ein Liliengewächs mit bildhübschen weißen Blüten. Beide Arten sind - wie alle Wildblumen Israels - geschützt. Und dann sind da natürlich noch die schimmernden roten Anemonen (von denen einige bereits zu blühen beginnen) und „Marganit hassade", eine Nelkenverwandte (lat. Anagallis arvensis), zarter gelber Hahnenfuß (lat. Ranunculus marginatus) und Mohn. Vorsichtig lasse ich die Spritze sinken und sprühe dann einige Meter später weiter. Nadaw spürte die Unterbrechung im gewohnten Arbeitsrhythmus. „Sprühen!" ruft er mir zu und dreht sich auf dem Traktor um. Wieder sprühe ich - und wieder halte ich inne bei der Entdeckung einer weiteren vermuteten Tulpe. So geht das einige Male.
Schließlich wird Nadaw ärgerlich: „Es ist wichtig, daß du überall sprühst", erklärt er wieder. Ich stottere: „Hier sind kleine Tulpen und Milchsterne, die stehen alle unter Naturschutz! Ich kann da nicht sprühen." „Aber wir haben die Erlaubnis zum Sprühen", trumpft Nadaw auf.

Später erzählt mir Iris, daß sich David einmal bei einem dichten grünen Büschel nach einem vermuteten Gartenschlauch gebückt hätte - und von einer hochgiftigen Schlange gebissen wurde. Er lag eine Woche im Krankenhaus, davon zwei Tage auf der Intensivstation. „Nun ja, ich war halt eines Tages fällig", kommentiert David grinsend sein Pech, „schließlich bin ich hier eines der ältesten Gründungsmitglieder des Kibbuz..."
Ich spüre den Konflikt: da ist die Liebe zu schöner, unzerstörter Natur - aber ich verstand nun auch, warum Nadaw so strikt auf das Sprühen bestanden hatte - er wollte jedes nur denkbare Versteck von Schlangen zerstören, um die Gefahr zu bannen.

Die Arbeit in Ei-Rom war wie eine Gärtnerlehre: Wie beschneidet man einen Baum richtig (ich weiß nun, daß es in Deutschland viele stümperhaft durchgeführte „Operationen" gibt!), wie und warum muß man auf den Boden rund um den Baum achten; wie pflanzt man junge Bäume; worauf ist bei der Schädlingsbekämpfung zu achten; welche Apfelsorten gibt es (das „erforschte" ich, indem ich gutes Fallobst mitnahm. Ich schwor auf den grünen „Granny Smith", Ingo mochte die gelbe Variante am liebsten; beide waren wir Liebhaber süßsäuerlicher Äpfel; die süßen spien wir verächtlich wieder aus). Und es war eine Arbeit, die stolz macht: wir waren drei Personen, die an einem Tag einen Aprikosengarten von abgeschnittenen Ästen befreien mußten. Wir kamen gut voran. „No somos muchos pero somos machos", kommentierte Gallo stolz unseren Erfolg.